2. September, 21 Uhr 32

Die letzten Tage war ich sehr unruhig. Wenn ich mit schweissnasser Kleidung aufwache, muss ich mich vergewissern, dass ich ich bin. Muss sehen, dass mich kein Dämon anschaut. Heute morgen flüsterte ich meinem Spiegelbild zu: „Du spinnst doch!“ Aber vorsichtig, unsicher. So leise, dass nur ich es hören konnte, erahnen konnte. Niemand sonst, kein böser Geist.

Ich würde gerne spinnen, denn ich will nicht schuldig sein. Doch ich spüre, dass es stimmt, fühle mich von dieser ungreifbaren Gewissheit eingeengt.

Ich will alleine sein, den ganzen Tag schlafen, aber ich möchte auch Anna treffen, und sie nicht mehr verlassen.

Mein Gemütszustand fährt zweigleisig. Ich bin abends entweder schlecht gelaunt und lasse mich von einer Depression auf Steroiden schlecht reden, oder denke >>> weiterlesen

2. September, 22 Uhr 37

Schreiben und Trinken ist eine spannende Kombination. Es geht zwar langsamer, aber die Gedanken sind anders. Siehe da, das Selbstbewusstsein steigt. Die Euphorie kommt raus wie Fledermäuse in der Nacht.

Jetzt ist der Zeitpunkt für einen Schlussstrich, für ein neues Kapitel. Ich muss mir und meinem Unterbewusstsein ein für alle mal glaubhaft einreden, mich dauerhaft überzeugen, dass ich am Tod der beiden Leute nichts mehr ändern kann. Es war ein Unfall. Ich bin nicht schuldig. Höchstens verantwortlich, aber auch das nicht. Ich habe mich ja nicht selbst totgefahren und mir einen Selbstmordversuch vorzuwerfen, wäre doch echt unfair. Wenn ein Zugfahrer jemanden überfährt, der sich auf die Gleise stürzt, darf der sich auch keine Vorwürfe machen.

Ich kann nichts dafür! Ich >>> weiterlesen

3. September, 7 Uhr 02

Gerade aufgewacht. Es ist so ekelhaft früh. Ich lag noch bis 2 Uhr wach im Bett, hab mir schön die Zeit vertrieben, lustige Serien und Clips geschaut. Eigentlich wollte ich heute morgen richtig fett ausschlafen und mir dann mittags ein fettiges Brunch auftischen. Doch bei dieser Helligkeit kann ein Vampir wie ich nicht mehr schlafen. Mein Spiegelbild ist so blass, ich könnte mir bei Vollmond einen Sonnenbrand holen.

Zum Ausrasten: Diese verdammte Sonne ist so hell. Sie strahlt so sehr, sie muss mich auslachen. Wieso konnte ich nicht wenigstens noch eine Stunde schlafen? Die hätte mir mein Körper gönnen können.

Es hilft nichts. Die angenehme Dunkelheit ist gewichen. Der Tag ist da, ich kann die Nacht nicht heraufbeschwören. Mein Rollo >>> weiterlesen

3. September, 20 Uhr 29

Nachtrag: So, schon wieder Abend. Meine To-Do-Liste habe ich abgearbeitet. Sie war zugegebenermaßen nicht sonderlich lang, aber ich werde mir mein Erfolgserlebnis nicht schlecht reden. Alles abgehakt und gut ist. Ein Schläfchen habe ich auch gemacht. Diese Kopfschmerzen, wenn man müde wird, aber keine Lust auf Kaffee hat, sind wirklich anstrengend.

Nun ist es, wie gesagt schon ein wenig später. Doch zum Schlafen ist es noch viel zu früh. Also muss ich wieder Zeit vertreiben. Das einfachste wäre ein bisschen zu glotzen, dazu ein bisschen was zischen. Aber jetzt schon wieder saufen?! Das ist immer wieder eine kurzfristige Lösung mit einem üblen Nachgeschmack. Davor und danach fühle ich mich wahrscheinlich schlecht, nur währenddessen bin ich auf Wolke 7. Der Himmel >>> weiterlesen

3. September, 22 Uhr 07

Das kann doch nicht wahr sein. In diesem dämlichen Karlsruhe passiert mir in der kurzen Zeit mehr als in Jahrzehnten in Bremen und Umgebung. Ich bin gerade so wütend, ich könnte einen Rollstuhl treten und damit Kinderwagen umkegeln. Das kann es doch nicht sein…

Ich bin gerade überfallen worden. So richtig hinterhältig war das. So ein Hund hat mich mit vorgehaltenem Messer abgezogen. Dabei hatte ich nicht mal viel Geld dabei. Unnötig, ey. Obwohl ich mir so oft eingeredet habe, dass ich ein Dämon oder sonst was bin, hatte ich Angst – panische. Ich bin heim gerannt. Wie ein kleiner Junge getürmt, der sich auf dem Schulhof gerauft und den Kürzeren gezogen hat.

So was feiges: Ich war schon ein … >>> weiterlesen

3. September, 23 Uhr 21

Ich bin kurz davor, ins Bad zu gehen und mein altes Ritz-Ritz-Spiel zu wiederholen.

Ich zittere, meine Hände schwitzen und mein Kopf ist rot. Ich würde mich gerne mit ein paar Schlucken, ein paar Flaschen beruhigen. Mir den erforderlichen Mut antrinken. Doch wenn ich jetzt wieder trinke, bin ich so schlau wie vorher. Dann muss ich mich wieder fragen, ob ich so viel Alkohol nicht vertrage, phantasiert habe oder im Wahn war. Ich muss nüchtern bleiben, nur dann habe ich die Gewissheit – wenn ich denn überlebe.

Soll ich es wirklich tun? Auf der einen Seite steht das ultimative Wagnis. Auf der anderen Seite ein Verbrecher, den ich bestrafen will, dazu die Genugtuung, wenn es klappt und die Bestätigung, dass >>> weiterlesen

4. September, 6 Uhr 32

Hier die Entwarnung, falls du dir schon Sorgen gemacht hast: Liebes Tagebuch, ich lebe noch.

Natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein. Wie könnte es auch? Mein Kopf dreht sich wieder wie ein Rührgerät. Es ist zum Verzweifeln. Wieso kann ich mir nicht einfach mal sicher sein? Wieso muss ich ständig alles hinterfragen? Nicht mal ein Selbstmord sorgt für Klarheit. Ich wälze mich im Ungewissen, weil ich mir ständig einrede, dass dieses oder jenes passiert sein könnte. Entweder bin ich gestern nach Plan nicht-gestorben, dafür ist stellvertretend dieser elende Verbrecher draufgegangen. Oder die Alternative: Es könnte ein Überspannungsschutz bei den Elektrogeräte eingesetzt haben und ich wurde lediglich ohnmächtig.

Schwacher Trost: Immerhin liegt es nicht mehr in meiner Hand. Ich habe meinen >>> weiterlesen

4. September, 11 Uhr 10

Im Kiosk. Keine Polizei, keine Evakuierung. Ich bekomme immer mal wieder Herzrasen, wenn ich mir die ganzen Einsatzwagen und das Sprengstoffkommando vorstelle. Das wäre wie im Actionfilm, und ich mittendrin. Mittendrin und mit reichlich Hintergrundwissen, ich könnte die Show genießen.

Aber bisher ist alles ruhig. In den Zeitungen steht nichts, das war aber auch zu erwarten. Immerhin konnte ich beim Durchblättern ein paar Minuten vertreiben, das ist im Moment auch etwas wert. Die Kunden haben nichts zu berichten. Ob es die Ruhe vor dem Sturm ist, wird sich zeigen. Es ist ein ganz normaler Alltag.

Nach dem Lauffeuer von dem Unfall von dem Penner setzt sich der Rauch. Die vielen Freunde, die der Typ plötzlich hatte, interessieren sich nicht mehr >>> weiterlesen

5. September, 18 Uhr 12

Mein Tagesplan ist gähnend wie eine Katze in der Sonne, so leer ist er. Ich habe Anna mittags hängen lassen. Sie wollte ins Schwimmbad, hat mich eingeladen. Ich habe mit einer billigen Ausrede abgesagt, weil ich dachte, dass heute Mittag der große Polizeieinsatz ist. Fehlanzeige wie bei einer Falschaussage. Auch heute gab es keine Neuigkeiten. Die Zeitungen habe ich sogar mehrfach studiert. Ich hatte solch zittrige Schweißhände, dass ich Knitter und Flecken hinterlassen habe. Kommt gar nicht gut, wenn man die Ware noch verkaufen muss. Vorgelesene Zeitungen mögen die wenigsten. Es hat sich natürlich prompt jemand beschwert. Dabei ist der gar kein typischer Meckersack, normalerweise ist er still und sachlich. Heute ist ihm der Kragen geplatzt. Ich kann es nachvollziehen. >>> weiterlesen

6. September, 10 Uhr 47

Ich bin gerade so angefressen. Eben kam der Chef vorbei, was er normalerweise nie so früh macht. Der Typ tauchte auf, mein siebter Sinn sagte, dass es jetzt einen Anpfiff gibt. Ich krampfte zusammen, baute eine innerliche Mauer auf.

Er hat schon das „Morgen“ in der herablassenden Art hervorgepresst, die sonst nur Ehefrauen in einer Ehe, die zum Zweck mutiert ist, zu hören bekommen. Ich mag es an sich nicht, wenn mir jemand mit Ermahnungen kommt. Ich bin vielleicht nicht so motiviert wie ein Auszubildender in der ersten Woche, aber ich hab die Arbeit immer richtig gemacht. Sollte die Kasse nach meiner Schicht nicht gestimmt haben, habe ich die Differenz stets ohne großes Murren aus meiner Tasche gezahlt. Was laut >>> weiterlesen