3. September, 22 Uhr 07

Das kann doch nicht wahr sein. In diesem dämlichen Karlsruhe passiert mir in der kurzen Zeit mehr als in Jahrzehnten in Bremen und Umgebung. Ich bin gerade so wütend, ich könnte einen Rollstuhl treten und damit Kinderwagen umkegeln. Das kann es doch nicht sein…

Ich bin gerade überfallen worden. So richtig hinterhältig war das. So ein Hund hat mich mit vorgehaltenem Messer abgezogen. Dabei hatte ich nicht mal viel Geld dabei. Unnötig, ey. Obwohl ich mir so oft eingeredet habe, dass ich ein Dämon oder sonst was bin, hatte ich Angst – panische. Ich bin heim gerannt. Wie ein kleiner Junge getürmt, der sich auf dem Schulhof gerauft und den Kürzeren gezogen hat.

So was feiges: Ich war schon ein gutes Stück auf dem Rückweg unterwegs. Irgendjemand hat mich von hinten geschubst. Ich hab das Gleichgewicht verloren, musste ein paar Schritte nach vorne ausweichen, aber bin nicht hingefallen. Ich war natürlich total überrascht, hatte keine Ahnung, was da los war. Also schnell umgedreht: Der Typ hatte mich schon am Oberarm gepackt. Was der wollte war sofort klar, als er angefangen hat mit seinem Messer rumzufuchteln. Der Typ war so typisch. Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen, Kragen der Trainingsjacke hochgestellt. Aufgrund der Überraschung war es eine gute Tarnung, ich bin mir nicht mal sicher, welche Farben die Sachen hatten. Die Augen rot, die Ringe schwarz, eine Junkie denke ich. Mit gebrochenem Deutsch meinte er: „Gelde her, Gelde her.“

Ich hol also meinen Geldbeutel aus der Jackentasche, wollte die Transaktion möglichst schnell beenden. Noch bevor ich das Scheinfach öffnen konnte (da waren vielleicht 10, vielleicht 5 Euro drin), riss er mir das Teil aus der Hand, dieser dreckige Gierschlund. Reflexartig hab ich nach seiner Hand gepackt. Meine Linke stinkt immer noch nach seiner versifften Haut. Was ich mir dabei nur gedacht habe. Das hätte auch ins Auge gehen können. Oder in welche Stelle er auch immer gestochen hätte. Aber es verlief glimpflich: Er hat sich losgerissen, war mit dem Geldbeutel zufrieden und ist in der Dämmerung verschwunden. Ich hatte keine Reichtümer dabei, Glück im Unglück. Aber an so ner Abzocke was Positives zu sehen kann ich nicht, will ich nicht. Da zieht man in so eine schöne Stadt, dann kann man nicht mal mehr am frühen Abend auf die Straße ohne überfallen zu werden. Ätzend wie Säure.

Und nichts konnte ich in dem Moment dagegen tun. Wenn ich mich wehre, sticht er mich ab. Und wenn ich einfach kooperiere fühle ich mich wie ein Opfer… so wie jetzt. Der Typ ist fein raus. Keiner Menschenseele bin ich begegnet, niemand auf der Straße, keinerlei Zeugen.

Falls es sie gab, haben sie den Schwanz eingezogen und sich versteckt. Wenn ich die Sache bei der Polizei anzeige, wird doch sowieso nichts daraus. Der schlendert wohl kaum am Tatort vorbei, wenn die überhaupt auf Spurensuche gehen. Als ob die wegen der paar Kröten Ermittlungen aufnehmen. Da müsste ich schon Politiker oder Richter sein, damit sich jemand kümmert. Wahrscheinlich begegne ich ihm ständig. Ich kann mir dann denken, dass es bestimmt der war. Aber wie soll ich das beweisen? Es steht im besten Fall mein Wort gegen seines. Und sowieso: Wenn, nein falls, er gefunden wird, läuft er morgen wieder frei herum und grinst mich bei der nächsten Gelegenheit frech an.

Je mehr ich hier schreibe, desto wütender werde ich. So ein mieser Sack! Ich habe keine Lust darauf ein Opfer zu sein. Jemand, den man herumschubsen kann, der nichts dagegen tun kann. Ich will es ihm heimzahlen. Und wenn ich nicht verrückt bin, dann kann ich es sogar.

Ich habe nichts zu verlieren. Wenn ich sterbe geschieht es mir recht. Ich bin für den Tod der beiden anderen verantwortlich. Jetzt stirbt endlich mal einer, der es definitiv verdient hat.

Er ist an den Falschen geraten!

Ich hab ihn an der Hand berührt, als ich ihm meinen Geldbeutel gegeben hab. Es gab einen Körperkontakt, genauso wie es bei dem Penner und bei meiner Nachbarin war. Es ist zweimal passiert, dann wird es doch ein drittes mal funktionieren. Der dumme Idiot hat keine Handschuhe getragen. Wegen dieser Unachtsamkeit wird er zahlen. Ich hatte ihn in der Hand, ich habe ihn in der Hand, ich nehme das Recht in die eigene Hand.

Was soll mir passieren? Wenn ich tot bin, bin ich tot. Und wenn ich nicht tot bin, stirbt der Typ irgendwo in einer Bruchbude. Wer den findet, denkt wohl, dass das ne Überdosis war. Es ist ein Risiko, das ich eingehen muss. Eine Wette, in die ich einschlagen will. Es muss mehr als nur ein Zeichen sein, eine Aufforderung: In meinem Geldbeutel war nicht mal mein Ausweis. Alle meine Dokumente liegen hier vor mir. Den ganzen Mist habe ich rausgemacht, damit alles trocknen kann. Da war rein gar nichts drin, das auf mich rückschließen lässt. Es wird wohl niemand Fingerabdrücke von einem unauffälligen Geldbeutel nehmen. Wahrscheinlich hat der Räuber sowieso nur die Kohle genommen, und den Geldbeutel zur Beweisvernichtung direkt in die nächste Tonne gekloppt.