3. September, 23 Uhr 21

Ich bin kurz davor, ins Bad zu gehen und mein altes Ritz-Ritz-Spiel zu wiederholen.

Ich zittere, meine Hände schwitzen und mein Kopf ist rot. Ich würde mich gerne mit ein paar Schlucken, ein paar Flaschen beruhigen. Mir den erforderlichen Mut antrinken. Doch wenn ich jetzt wieder trinke, bin ich so schlau wie vorher. Dann muss ich mich wieder fragen, ob ich so viel Alkohol nicht vertrage, phantasiert habe oder im Wahn war. Ich muss nüchtern bleiben, nur dann habe ich die Gewissheit – wenn ich denn überlebe.

Soll ich es wirklich tun? Auf der einen Seite steht das ultimative Wagnis. Auf der anderen Seite ein Verbrecher, den ich bestrafen will, dazu die Genugtuung, wenn es klappt und die Bestätigung, dass >>> weiterlesen

4. September, 6 Uhr 32

Hier die Entwarnung, falls du dir schon Sorgen gemacht hast: Liebes Tagebuch, ich lebe noch.

Natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein. Wie könnte es auch? Mein Kopf dreht sich wieder wie ein Rührgerät. Es ist zum Verzweifeln. Wieso kann ich mir nicht einfach mal sicher sein? Wieso muss ich ständig alles hinterfragen? Nicht mal ein Selbstmord sorgt für Klarheit. Ich wälze mich im Ungewissen, weil ich mir ständig einrede, dass dieses oder jenes passiert sein könnte. Entweder bin ich gestern nach Plan nicht-gestorben, dafür ist stellvertretend dieser elende Verbrecher draufgegangen. Oder die Alternative: Es könnte ein Überspannungsschutz bei den Elektrogeräte eingesetzt haben und ich wurde lediglich ohnmächtig.

Schwacher Trost: Immerhin liegt es nicht mehr in meiner Hand. Ich habe meinen >>> weiterlesen

4. September, 11 Uhr 10

Im Kiosk. Keine Polizei, keine Evakuierung. Ich bekomme immer mal wieder Herzrasen, wenn ich mir die ganzen Einsatzwagen und das Sprengstoffkommando vorstelle. Das wäre wie im Actionfilm, und ich mittendrin. Mittendrin und mit reichlich Hintergrundwissen, ich könnte die Show genießen.

Aber bisher ist alles ruhig. In den Zeitungen steht nichts, das war aber auch zu erwarten. Immerhin konnte ich beim Durchblättern ein paar Minuten vertreiben, das ist im Moment auch etwas wert. Die Kunden haben nichts zu berichten. Ob es die Ruhe vor dem Sturm ist, wird sich zeigen. Es ist ein ganz normaler Alltag.

Nach dem Lauffeuer von dem Unfall von dem Penner setzt sich der Rauch. Die vielen Freunde, die der Typ plötzlich hatte, interessieren sich nicht mehr >>> weiterlesen

5. September, 18 Uhr 12

Mein Tagesplan ist gähnend wie eine Katze in der Sonne, so leer ist er. Ich habe Anna mittags hängen lassen. Sie wollte ins Schwimmbad, hat mich eingeladen. Ich habe mit einer billigen Ausrede abgesagt, weil ich dachte, dass heute Mittag der große Polizeieinsatz ist. Fehlanzeige wie bei einer Falschaussage. Auch heute gab es keine Neuigkeiten. Die Zeitungen habe ich sogar mehrfach studiert. Ich hatte solch zittrige Schweißhände, dass ich Knitter und Flecken hinterlassen habe. Kommt gar nicht gut, wenn man die Ware noch verkaufen muss. Vorgelesene Zeitungen mögen die wenigsten. Es hat sich natürlich prompt jemand beschwert. Dabei ist der gar kein typischer Meckersack, normalerweise ist er still und sachlich. Heute ist ihm der Kragen geplatzt. Ich kann es nachvollziehen. >>> weiterlesen

6. September, 10 Uhr 47

Ich bin gerade so angefressen. Eben kam der Chef vorbei, was er normalerweise nie so früh macht. Der Typ tauchte auf, mein siebter Sinn sagte, dass es jetzt einen Anpfiff gibt. Ich krampfte zusammen, baute eine innerliche Mauer auf.

Er hat schon das „Morgen“ in der herablassenden Art hervorgepresst, die sonst nur Ehefrauen in einer Ehe, die zum Zweck mutiert ist, zu hören bekommen. Ich mag es an sich nicht, wenn mir jemand mit Ermahnungen kommt. Ich bin vielleicht nicht so motiviert wie ein Auszubildender in der ersten Woche, aber ich hab die Arbeit immer richtig gemacht. Sollte die Kasse nach meiner Schicht nicht gestimmt haben, habe ich die Differenz stets ohne großes Murren aus meiner Tasche gezahlt. Was laut >>> weiterlesen

6. September, 13 Uhr 49

Zuhause.

Eben war Maas wieder normal. Ich bin erleichtert, da ich mit der Kündigung gerechnet habe. Aber er war von meinem Anfall offensichtlich beeindruckt. Normal ist für seine Verhältnisse zwar nicht nett, aber erträglich. Er meinte: „Se machen schon n guten Job hier.“ Damit war die Aussprache dann auch erledigt. In der Folge haben wir beide so getan, als wäre morgens nichts vorgefallen. Das soll mir recht sein. Ich hatte sogar überlegt, ob ich mich entschuldigen soll. Das hätte mein Stolz aber nicht zugelassen. Zuguterletzt hat auch die Kasse gestimmt, das wäre peinlich gewesen, wenn ich da einen groben Schnitzer drin gehabt hätte.

Nun gut, jetzt ist erstmal Feierabend. Der Rest des Tages gehört mir. Ich bin gerade dabei runterzukommen. >>> weiterlesen

6. September, 20 Uhr 18

Liebes Tagebuch, ich wünschte, du wärst ein Groschenroman und meine Bekanntschaft eine schöne Schnulze. Dann könnte ich jetzt davon schwärmen, wie toll der Nachmittag doch war. Mit turteln, Händchen halten und am selben Eis schlabbern. Die Wahrheit sieht so aus: ziemlich nervig. Statt Momenten zum Einrahmen habe ich einen kompletten Tag zum Abhaken.

Das Ganze auf meine angespannte Situation zu schieben, wäre einfach, aber zu billig. Dieser Ausflug war echt anstrengend. Wie zu erwarten, war es voll im Einkaufszentrum. Voll heißt hektisch, hektisch heißt stressig. Und Stress ist Gift, wenn man eine holde Maid beeindrucken möchte.

Nicht nur die Rahmenbedingungen waren problematisch. Auch Anna war gewöhnungsbedürftig. Der Ablauf kam5 mir bekannt vor. Ich stundenlang am warten: mal mitten im Gang >>> weiterlesen

7. September, 9 Uhr 12

Überraschung am frühen Morgen: Ich bin zuhause, ich wurde von der Arbeit freigestellt. Der Chef hat mich heute im Morgengrauen angerufen. Ich soll mich gar nicht erst auf den Weg machen, heute gäb es „nichts zu schaffe“. Bevor er noch etwas sagen konnte, übernahm bei mir die Panik das Ruder. Ich aufgeregt: Heer Maas, es tut mir leid. Ich habe Stress zuhause, mir ist der Kragen geplatzt. Feuern brauchen sie mich an.“ Er schwieg.

Dann holte er tief Luft, erklärte er mir in knappen Sätzen mit abgehakten Worten den Stand der Dinge. Meine Arbeit würde heute nicht gebraucht werden. Das Kiosk bleibt geschlossen.

Da sind bei mir die Alarmglocken aufgeschrillt. An Weiterschlafen, den freien Tag genießen, war natürlich nicht zu >>> weiterlesen