1. November, 15 Uhr 49

Mir fehlt die Arbeit überhaupt nicht. Klar, mein Vorrat an Kohle löst sich auf, verfliegt wie Asche im Wind. Das ist wohl der Preis der Freiheit.

Der Chef hat mich freigestellt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich gefeuert bin. Eigentlich wollte ich im Internet schauen, was genau damit gemeint ist, aber ich kam noch nicht dazu. Ich denke mal, dass es unbezahlter Urlaub ist. Ich nehme die Sache einfach wie sie kommt. Mir bleibt ja nichts anderes übrig.

Ohne Verpflichtungen ist es schon geil. Mein Programm: Chillaxen, mir – wenn sie Zeit hat – von Anna an den Ohren knabbern lassen. Ich weiß jetzt alles über ihre Kommilitonen, was es zu wissen gibt.

Heute war ich sogar länger >>> weiterlesen

1. November, 19 Uhr 32

Gegen Abend fand ich mich vor dem Spiegel wieder. Die Pupillen geweitet, der Kiefer mahlend, stachelte ich mich an. Ich nickte mir zu, ballte die Faust, pumpte. Der Entschluss war gefasst, ich durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Du musst jetzt los. Du musst es machen. Du musst deine Aufgabe erledigen!

Und dann war ich vor Ort. Trotz chemischem Selbstbewusstsein, bekam ich ein mulmiges Gefühl. Meine Hände und Beine kribbelten. Ich wusste weder was noch wer mich erwartet. Ich hatte nur den Plan, den ich meinem Spiegelbild mit aufgerissenen Augen eingetrichtert habe.

Immer wieder die inneren Widerstände: Dreh um, du machst einen Fehler! Ich zog mich zurück. Suchte, fand ein einsames Plätzchen Ich stand an die graue Wand gelehnt, starrte auf >>> weiterlesen

2. November, 2 Uhr 22

Es ist an der Zeit, ich werde mich ins Jenseits verabschieden. Bei jedem Versuch wenigstens kurz runterzukommen, setzt die Paranoia ein. Ich gebe auf, mich mit Worten zu besänftigen, lasse die Tabletten übernehmen.>>> weiterlesen

2. November, 14 Uhr 10

Mein Körper muss dehydriert sein wie Trockenfrüchte. Mein Gehirn wurde über Nacht zur Dörrpflaume. Un-säg-liche Kopfschmerzen.

Gestern Nacht habe ich so einen Film geschoben. Ich wurde nicht nur hellhörig, ich hörte alles. Bei jedem Geräusch im Treppenhaus oder den Nachbarwohnungen, zuckten meine Ohren als wäre ich eine Katze. Ungewissheit und Vorahnungen: Reden die über mich? Kommt gleich jemand, um mich zu holen? Polizei? Gang? Haben sie mich doch erkannt?

Das High ist gut, auf das Kopfkino könnte ich verzichten. Beim Saufen hatte ich das nie. Es stellt sich die Frage, ob das Nebenwirkungen sind. Oder etwas anderes.

Ich bin ein wenig erschrocken, als ich mir das Herunterkommen aus der Vogelperspektive, quasi als außerkörperliche Erfahrung vorgestellt hab. An der Tür zu >>> weiterlesen

3. November, 7 Uhr 23

Anna und ich waren gestern auf Party. Wir haben gelacht, getanzt, geknutscht. Ich war so drauf, es war einfach nur zu krass. Beste Party ever. Ich habe sogar Kontakte geknüpft. Zuhause fiel Anna ins Bett. Für mich war die Karussellfahrt zu wild. Ich musste mich an Tisch und Stuhl setzen, damit mich die Übelkeit nicht überwältigte. Zu viele Shots.

Was sollte ich dort in der Dunkelheit schon tun? Ich war gefangen in meinen Gedanken. So spielte ich in der Nacht alle Todesfälle durch. War ich vorsichtig? Zeugen? Gab es Szenarien, die mir gefährlich werden konnten?

Es dauerte bis in die frühen Morgenstunden, bis ich alles abgearbeitet hatte. Anna schlummerte noch als ich mich nach unten stahl. Es stand ein wichtiges >>> weiterlesen

5. November, 15 Uhr 17

Die letzten Tage lassen sich einfach zusammenfassen: Anna gestresst, Freunde langweilig, Eltern nervig.

Anna hatte wenig Zeit. Ging in Ordnung wie Soldaten, weil sie sehr aufgeregt wegen irgendwelcher Benotungen war.

Enttäuscht war ich von der Sippe aus Bremen und Umland. Meine Freunde wollten mich partout nicht besuchen. Keine Ahnung, was da los ist. Als ich zu Besuch war, haben sich noch alle angeboten. So ist es halt, wenn es ernst wird. Da machen die Leute mit fadenscheinigen Begründungen einen Rückzieher. Jeder einzelne war abweisend und distanziert. Ich habe angeboten, dass sie die Wohnung für sich bekommen, ich würde bei Anna schlafen.

Nicht der einzige Genickschlag aus dem Norden: Die Krönung war, dass meine Eltern beinahe Telefonterror gemacht haben. Ich frage >>> weiterlesen

5. November, 21 Uhr 38

Als ich vorhin meinen abgemagerten Geldbeutel angeschaut habe, kam mir die Idee. Regelst einfach das mit dem Maas. Das Gespräch dauerte nicht lange.

Ich: „Die Auszeit hat mir richtig gut getan. Ich bin jetzt wieder voll auf dem Dampfer und motiviert. Soll ich morgen die Frühschicht machen?“

Er: „Ganz schlecht, Anders, ganz schlecht. Derzeit haben wir Flaute. Die Kollegen haben sich auf die freien Schichten gestürzt. Wissense, die haben Familie und brauchen Geld für Weihnachten.“ Wir beendeten den Anruf mit ein paar warmen Worten. Das ein Hoffnungsfunke, unterm Strich dennoch ein Dämpfer. Mein finanzieller Spielraum wird so langsam zum Taschenbillard.

Aber ich wollte mich nicht unterkriegen lassen wie eine Boje. Damit dieser Tag einen Sinn hatte, bekommt der Suizidkönig wenigstens >>> weiterlesen

6. November, 0 Uhr 19

Also das kann es jetzt echt nicht sein. Ich habe mich für Anna in Schale geworfen. Extra das Hemd angezogen, das sie rausgesucht hat. Den Kragen cool hochgestellt, die Haare auch. Hab artig Duftwasser aufgelegt, obwohl ich davon Kopfschmerzen bekomme. In diesem Casanovakostüm, mit vier kalten Bier in den Händen bin ich hoch, um Anna zu überraschen. Geklingelt. Nochmal geklingelt. Sachte geklopft. Stärker geklopft.

Endlich öffnete sie die Tür. Naja, sie öffnete fast die Tür. Die Türkette stoppte den Vorgang abrupt.

Ich war nicht nur davon genervt, dass sie mich hat warten lassen. Wie empfängt sie mich? Im Schlafanzug, mit Zottelhaaren und irgendeiner Maske im Gesicht.

Anna: „Anders? Was willst du denn?“

Ich: „Party! Wie lange brauchst du?

Sie: „Wer >>> weiterlesen

9. November, 10 Uhr 02

Das Speed ist so aufreizend, dass ich nie lange widerstehen kann. Es hat das schönste Lächeln der Welt. Immer das gleiche Spiel: Kaum gekauft, gleich wieder leer. Dann schwebe ich im Nichts, schaue die Wände an. Sehne mich nach der Aufregung. Als Resultat kratze ich ein paar Kröten zusammen und drehe eine neue Runde in meinem Teufelskreis.

Ich brauche Nachschub, also muss ich schon wieder in die Ecke gehen, somit nimmt der Geldbestand weiter ab.

Ich heule hier vielleicht rum. Keine Ahnung, wieso. Wahrscheinlich, weil ich keine Lust habe, das Haus zu verlassen.

Ansonsten genieße ich mein Leben in vollen Zügen. Gut, mit Anna hatte ich noch keinen Kontakt. Ich lasse sie derzeit schmoren. Sie mich zwar auch, aber es >>> weiterlesen

10. November, 16 Uhr 12

Heute Nacht hatte ich einen Panikanfall inklusive Schweißausbruch. Leben ohne Anna, isoliert und einsam.

Da Anna immer noch kein Lebenszeichen von sich gegeben hat, habe ich ihr heute früh eine Mail geschickt. Das sind leider Nebenwirkungen, wenn der Rausch ausklingt – eine Mixtur aus Bedrückung, Sorgen und Ängsten. Es wäre schade, wenn es das mit uns jetzt gewesen wäre. Die Mail war freundlich und nicht so fordernd. Ich fragte, ob wir uns nicht vertragen sollen. Meinte, dass es mir leid tut. Eben all der Honig, Zucker, Süßstoff und Stevia, den man einer beleidigten Frau so ums Maul schmieren kann.

Ansonsten der Schnelldurchlauf von gestern. Kronenplatz: lief. Isy: will mal wieder was machen. Soll mir recht sein, Ablenkung ist willkommen. Chef: >>> weiterlesen