6. September, 13 Uhr 49

Zuhause.

Eben war Maas wieder normal. Ich bin erleichtert, da ich mit der Kündigung gerechnet habe. Aber er war von meinem Anfall offensichtlich beeindruckt. Normal ist für seine Verhältnisse zwar nicht nett, aber erträglich. Er meinte: „Se machen schon n guten Job hier.“ Damit war die Aussprache dann auch erledigt. In der Folge haben wir beide so getan, als wäre morgens nichts vorgefallen. Das soll mir recht sein. Ich hatte sogar überlegt, ob ich mich entschuldigen soll. Das hätte mein Stolz aber nicht zugelassen. Zuguterletzt hat auch die Kasse gestimmt, das wäre peinlich gewesen, wenn ich da einen groben Schnitzer drin gehabt hätte.

Nun gut, jetzt ist erstmal Feierabend. Der Rest des Tages gehört mir. Ich bin gerade dabei runterzukommen. >>> weiterlesen

6. September, 20 Uhr 18

Liebes Tagebuch, ich wünschte, du wärst ein Groschenroman und meine Bekanntschaft eine schöne Schnulze. Dann könnte ich jetzt davon schwärmen, wie toll der Nachmittag doch war. Mit turteln, Händchen halten und am selben Eis schlabbern. Die Wahrheit sieht so aus: ziemlich nervig. Statt Momenten zum Einrahmen habe ich einen kompletten Tag zum Abhaken.

Das Ganze auf meine angespannte Situation zu schieben, wäre einfach, aber zu billig. Dieser Ausflug war echt anstrengend. Wie zu erwarten, war es voll im Einkaufszentrum. Voll heißt hektisch, hektisch heißt stressig. Und Stress ist Gift, wenn man eine holde Maid beeindrucken möchte.

Nicht nur die Rahmenbedingungen waren problematisch. Auch Anna war gewöhnungsbedürftig. Der Ablauf kam5 mir bekannt vor. Ich stundenlang am warten: mal mitten im Gang >>> weiterlesen

7. September, 9 Uhr 12

Überraschung am frühen Morgen: Ich bin zuhause, ich wurde von der Arbeit freigestellt. Der Chef hat mich heute im Morgengrauen angerufen. Ich soll mich gar nicht erst auf den Weg machen, heute gäb es „nichts zu schaffe“. Bevor er noch etwas sagen konnte, übernahm bei mir die Panik das Ruder. Ich aufgeregt: Heer Maas, es tut mir leid. Ich habe Stress zuhause, mir ist der Kragen geplatzt. Feuern brauchen sie mich an.“ Er schwieg.

Dann holte er tief Luft, erklärte er mir in knappen Sätzen mit abgehakten Worten den Stand der Dinge. Meine Arbeit würde heute nicht gebraucht werden. Das Kiosk bleibt geschlossen.

Da sind bei mir die Alarmglocken aufgeschrillt. An Weiterschlafen, den freien Tag genießen, war natürlich nicht zu >>> weiterlesen

7. September, 14 Uhr 19

Ich habe den Rat von Maas befolgt. Ich bin zurück in der Wohnung, endlich wieder ganz allein. Ich habe keine Worte mehr mit ihm gewechselt, war tapfer. Meine Maske ist nicht verrutscht.

Gerade in den Spiegel geschaut, die Befürchtungen der vergangenen Tage und Stunden haben sich addiert, sie wirken wie Hundejahre. Ich bin merklich gealtert. Falten kamen scheinbar über Nacht, ich habe mich verändert. Nicht nur äußerlich. Meine Seele fühlt sich anders an. Was Verdacht war, hat sich jetzt bestätigt: Ich bin nicht normal. Mein Gesicht erkenne ich wieder, aber ich misstraue diesen Augen.

Ich schau mich an, und muss mich fragen, ob ich ein Mörder bin. Ich hoffe nein. Ich denke ja. Ich habe kein Haar gekrümmt. Doch bin >>> weiterlesen

7. September, 19 Uhr 12

 Die ganze Euphorie war verflogen, als ich vor der Haustür stand. Keine Ehrfurcht vor mir, keine Angst. Die Passanten waren wie immer.

Ich war mittags tatsächlich im Kino, allein. Hat Überwindung gekostet. Den Longdrink habe ich mir dann doch nicht gebastelt, das war mir ohne Begleitung zu peinlich. Was wäre wenn sie mich entdeckt hätten? Ich wäre wahrscheinlich im Boden versunken. Nachdem ich mich damit Abgefunden habe, der Einzelgänger in der Vorstellung zu sein, war es ganz cool. Mir wurde nur abermals klar, dass ich mir die negativen Gedanken abgewöhnen muss. Nicht jeder ist immer gegen mich oder denkt das Schlimmste von mir. Vielleicht bewundern mich die Leute, weil ich so selbstbewusst bin und alleine ins Kino bin. Von meinem >>> weiterlesen

8. September, 9 Uhr 52

Uff, das war ein Morgen. Also, wo fange ich an? Erstmal: Ich sitze jetzt wieder im Kiosk und gehe meiner gewohnten Tätigkeit nach. Wie eine Maschine: Zigaretten schieben und Lottoscheine annehmen. Es lässt sich daraus schließen: Das Kiosk wurde nicht in die Luft gesprengt. Überraschung! Der Bombenalarm war ein Finte. Das Viertel ist sicher.

Als ich zu Schichtbeginn angekommen bin, hat mich der alte Maas empfangen. Ich hatte ziemlichen Bammel davor, was mich jetzt erwarten würde. Da ich jeglichen Kontakt mit der Polizei vermeiden wollte, habe ich gestern einen sprichwörtlichen Bogen um das Kiosk gemacht, und bin über die Querstraßen ausgewichen. Heute war also der große Tag.

Wie gesagt, Maas war schon da. Ungewöhnlich, normalerweise kommt er nur zum Feierabend, >>> weiterlesen

8. September, 15 Uhr 27

Ulli war wieder eine Aufheiterung. Heute hätte ich sie zwar nicht gebraucht, aber besser als gut ist immer willkommen – besonders bei der Laune. Klar, er war ganz neugierig, was da alles passiert ist, mit den Bomben und so. Er hat mich ein bisschen ausgequetscht. Ich habe versucht die ganze Geschichte ein wenig herunterzuspielen. Aber der gute Mann war Feuer und Flamme. Als er den Artikel im Karlsruher Morgen gelesen hat, ist er ein bisschen in einen Agententhriller abgetaucht: „Man könnte da ja mal ein bisschen spionieren und die Nachbarn aushorchen.“ Ich habe zu ihm gemeint, dass er gerne Ermittlungen aufnehmen kann. Er sollte bloß aufpassen. Der Tatendrang war schnell verflogen, als wir philosophierten, welche Konsequenzen fürchten müsste. Auch heute >>> weiterlesen

8. September, 16 Uhr 47

Ich habe meinen Platz geräumt. Es wurde doch zu peinlich. Die Mädchen haben schon über mich gekichert. Wie früher: Die Anführerin sagt was, die anderen gucken, dann wird gelacht. Ich will gar nicht wissen, was die an mir auszusetzen haben. Ich befürchte, dass die Kinder irgendwelche Schnappschüsse von mir gemacht haben. Ich hätte am liebsten meine Faust geschwungen wie ein meckernder Opa. Habe mich aber für den stummen Rückzug entschieden. Meine Fotos sind mittlerweile bestimmt viral und der Brüller in den sozialen Netzwerken – welche auch immer bei den Jugendlichen derzeit aktuell sind. Ich habe schon überlegt, ob ich der Rädelsführerin die Hand geben soll… aber es sind doch nur Teenies. Gott, ich werde alt und verbittert, wenn ich nicht >>> weiterlesen

8. September, 17 Uhr 39

Letzte Station für heute, aber hier ist immerhin mächtig Tumult: Karlsruher Hauptbahnhof. Das Gebäude wirkt so ausladend, kalt und grau, da kann man nur schlechte Laune bekommen. Hier fühle ich mich wohl.

Die Leute sind schon interessant. Die eine Hälfte dürften Berufspendler sein. Die andere Hälfte teilt sich dann in Fernreisende und Untersatz der Unterschicht. Bahnhöfe ziehen die ganzen kleinkriminellen Motten an wie Licht – selbst wenn sie so schlecht ausgeleuchtet sind, wie dieser. Das ist bei jedem einzelnen Bahnhof so. Wieso diese Freaks nicht in den Schlossgarten gehen und wenigstens ein wenig Sonne tanken, kann ich mir nicht erklären. Ich hoffe, ich sehe wie ein Reisender aus. Mir ist gar nicht danach von der Polizei kontrolliert zu werden. Hier >>> weiterlesen

9. September, 9 Uhr 37

Gestern Abend kam noch eine Nachricht von Anna. Sie hat gefragt, ob ich Zeit zum Quatschen hab. Genügend Zeit habe ich leider immer. Zu Anna meinte ich, dass ich mir für sie immer Zeit nehmen würde, ich alter Schleimer. Also hoch gestiefelt, im Gepäck wie üblich ein wenig Alkohol. Das ist Zeitvertreib, Eisbrecher und Begrüßungsgeschenk.

Anna wollte reden. Und Junge, das tat sie. Es zeigt sich immer mehr, dass Anna sehr gerne spricht und den Dingen in langen Diskussionen auf den Grund gehen möchte. Auch wenn alles glasklar ist und man den Boden trotz tiefem, stillem Wasser sieht. Sie ist ein echtes Goldstück, aber was das Quatschen angeht, ist sie aus Silber gegossen.

Grund des Gesprächs: Sie hat mich gestern >>> weiterlesen