8. September, 17 Uhr 39

Letzte Station für heute, aber hier ist immerhin mächtig Tumult: Karlsruher Hauptbahnhof. Das Gebäude wirkt so ausladend, kalt und grau, da kann man nur schlechte Laune bekommen. Hier fühle ich mich wohl.

Die Leute sind schon interessant. Die eine Hälfte dürften Berufspendler sein. Die andere Hälfte teilt sich dann in Fernreisende und Untersatz der Unterschicht. Bahnhöfe ziehen die ganzen kleinkriminellen Motten an wie Licht – selbst wenn sie so schlecht ausgeleuchtet sind, wie dieser. Das ist bei jedem einzelnen Bahnhof so. Wieso diese Freaks nicht in den Schlossgarten gehen und wenigstens ein wenig Sonne tanken, kann ich mir nicht erklären. Ich hoffe, ich sehe wie ein Reisender aus. Mir ist gar nicht danach von der Polizei kontrolliert zu werden. Hier laufen einige Streifen ihre Runden. Wenn es sich ergibt, sammele ich noch ein paar Karmapunkte. Karma sieht schließlich alles. Ich werde gleich mal eine Bahn im Bahnhof ziehen und wie ein Superheld nach Hilfsbedürftigen suchen. Nach den ganzen negativen Gedanken, muss ich mal wieder die Kurve kriegen. Vielleicht finde ich meine gute Tat des Tages hier. Einer Oma den zu schweren Koffer ans Gleis tragen, Fremden den Weg weisen, Gepäck von anderen bewachen, damit es nicht gestohlen wird. Richtig gut wäre es natürlich, einer netten Mutter mit dem Kinderwagen zu helfen.

Das war postwendend. Eine Live-Berichterstattung: In der Warteecke, in der ich gerade sitze, hätte beinahe einer sein Handy liegen lassen. Zum Glück hat der Typ mich und meinen beherzten Aufschrei gehört. Kostenlos am Bahnhof surfen und dann das Handy vergessen, das muss einem erstmal passieren. Ich finde, das war dann auch schon die gute Tat. Die eine Tour durch den Bahnhof machen, brauche ich nicht. Ob es das Adrenalin wegen dem Schreck war oder einfach Freude zu helfen, spielt keine Rolle. Ich fühle mich tatsächlich gut.

Bei dem ganzen Volk hier fällt mir etwas Wichtiges ein: Ich sollte immer vorbereitet sein, falls mir etwas passiert. Gehen wir mal davon aus, dass mir etwas passiert. Dann könnte der Teufel es doch als Selbstmordversuch werten. Wenn ich nun nicht sterben kann, muss doch die Person, die ich zuletzt berührt habe, dran glauben. Das heißt, wenn ich mich beispielsweise von Anna verabschiede, muss ich mich besonders vorsichtig verhalten. Bloß nicht umkommen, sonst wäre sie stellvertretend dran.

Es wäre eine gute Taktik und Vorsichtsmaßnahme, wenn ich immer jemanden, der verschleißt werden kann, im Speicher habe. Also nachdem ich von Anna weggehe, noch einen Verbrecher anfassen. Die Idee ist gut, aber die Umsetzung wird schwer sein. Da müsste ich quasi in den Bahnhof ziehen. Meine Güte, hat es hier Auswahl. Warum sind Hauptbahnhöfe immer die Sammelbecken der unerwünschten Leute…