Gönnhardt: Kapitel 64

Was.

Die Füchse machten große Augen. Das splitternde Holz rief Ängste vor ganz individuellen Feindbildern hervor. Sie dachten, dass der Teufel/Buhmann/Tierfänger/Wolf/Schminkfit sie holen wollte. Zum Glück konnten die Füchse in der Dunkelheit ausgezeichnet sehen. So dauerte es nur ein paar Sekunden bis die Herzen nicht mehr vor Aufregung Bongos trommelten.

Gönnhardt richtete sich auf: Waaas!

Schorschi sprang auf: Ein Wunder, ein Wunder!

Anne setzte ein verlegenes Lächeln auf, dann setzte sie Tim ab. Der kleine Junge rannte sofort zu Schorschi. Die beiden klebten daraufhin aneinander wie Magnete mit den entsprechenden Seiten.

Gönnhardt: Tim, du hast überlebt! Du bist ja schon wieder richtig gesund.

Tim wusste nicht, was er darauf antworten sollte.

Anne löste den Irrtum auf: Äh, ja. Der Tim hat den Schock verarbeitet, dass sein Freund so, ähm, krank ist.

Gönnhardt: Sein Freund? Aber Tim war doch seit dem … dem Vorfall nicht mehr da.

Anne druckste erst ein wenig herum. Dann stammelte sie davon, was Tim in letzter Zeit widerfahren war. Um es kurz zu machen: rein gar nichts.

Erleichterung machte sich breit, die Füchse jubelten. Während der Hektik und aufgrund des Schocks hatte nämlich keiner der Füchse nachgefragt, ob das vergiftete Kind überhaupt Tim war. Sie gingen einfach davon aus, weil er nicht mehr auftauchte. Nun mag es nicht politisch-korrekt sein, dass die Füchse froh waren, dass es ein anderes Kind erwischt hatte. Aber Füchse durften ja auch nicht wählen, deshalb mussten sie sich nicht um solche Feinheiten kümmern.

Anne setzte sich zu den Füchsen. Und dann tat sie das, was sie am liebsten machte: Sie hielt einen Vortrag, bei dem sie nicht unterbrochen wurde.

Sie fing bei ihrem Bericht mit dem heutigen Tag an. Sie erzählte von der Anfrage der Polizei, ins Schloss zu kommen und behilflich zu sein, weil Schminkfit sich weigerte, seine Zeit zu opfern. Sie veranschaulichte, wie sie den Polizisten die Aufteilung im Schloss erklärte, die beiden Beamten anschließend durch die Räumlichkeiten lotste. Sie fasste zusammen, dass die beiden Beamten im Keller nichts Verdächtiges fanden. Dann setzte sich Anne auf die Knie, um über den anderen zu thronen, und wurde lehrerhaft. Sie fuchtelte wild mit dem Zeigefinger als sie sagte, dass im Bereich der Wölfe, wahrscheinlich dem Teil von Gorra, eine Hose gefunden wurde.

Anne: Und das war nicht irgendeine Hose. Das war eine Kinderhose, eine Jeans von Sören. Ich bin mir ganz sicher, dass das seine ist. Ich kenne die Hose nämlich, die habe ich vom Flohmarkt. Der Tim wollte die nicht, also hab ich sie verschenkt. Ich habe der Polizei dann verraten, dass die Wölfe ihren Bereich wie die Irren verteidigen. Da darf ja sonst nie jemand hin. Das könnt ihr ja auch bezeugen. Und dass die Gorra so eine Böse ist. Die Polizei war jedenfalls sehr zufrieden mit dem Fund und natürlich auch mit meiner Leistung. Die Beamten sind dann auch wieder weg. Im Vertraulichen meinten die, dass der Fall damit eindeutig ist. Dann hab ich den Tim abgeholt. Ihr wisst schon, der sollte den Sören ein bisschen aufmuntern.

Tim warf ein: Böser Bub, böser Bub! Sören bäääh!

Anne fuhr weiter: Dem Sören geht es wieder ganz gut. Der ist aus dem Gröbsten raus. Kinder sind zum Glück hart im Nehmen. Die Mutter von Sören meinte, dass er den Tim heute schon wieder so fest gehauen hat wie immer. Es sieht also gut aus. Ja, und danach haben wir uns auf die Suche nach euch gemacht.

Gönnhardt fiel ein Stein vom Herzen, als er erfuhr, dass Bertrams Plan gescheitert war, obwohl er aufging. Gönnhardt schrie die Lüge, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge lag, heraus: Das Päckchen mit dem Gift haben mir die Wölfe geklaut, als sie den Keller verwüstet haben! Das musst du der Polizei sagen!

Anne war erleichtert, dass die Füchse doch nicht die wilden Bestien waren, für die sie sie in den letzten Tagen gehalten hatte. Dennoch hatte auch sie es in diesem Moment nicht so mit der Wahrheit: Ich weiß Gönnhardt, ich habe immer gewusst, dass es die Wölfe waren.

Anne legte eine Pause ein.

Ihr Gesicht lag in Falten, zerknittert, wie ein schlechter Entwurf. Sie wurde ernst, weil sie ein wichtiges Anliegen hatte. Anne: Dieses Giftpäckchen hatte nur ein ganz kleines Loch. Da ist zum Glück fast gar nichts raus gelaufen. Die Ermittler und die Eltern denken, dass die Gorra es irgendwo gefunden hat. Belassen wir es doch dabei?! Es muss ja niemand erfahren, woher das Gift stammt. Wir vergessen die Sache einfach. Abgemacht? Wenn uns jemand nach dem Gift fragt, stellen wir uns dumm.

Schorschi: Wenn uns jemand wonach fragt?

Anne: Dem …

Schorschi strahlend: VERÄPPELT!

Schorschis ansteckendes Lachen entkrampfte die Stimmung.

Gönnhardt hatte nichts gegen das Schweigegelübde einzuwenden. Er richtete sich an seine Freunde: Deal, oder?

Die allgemeine Zustimmung der Füchse löste den Knoten in Annes Magen. Die Angst vor etwaigen Konsequenzen hatte dort für ein Geschwür gesorgt. Ihre indirekte Täterschaft durch die Waffenbeschaffung würde unentdeckt bleiben. Diese Angelegenheit sollte damit abgehakt und zu den Akten gelegt werden. Ein schneller Themenwechsel war notwendig.

Anne wand sich an Tim: Wenn es dem Sören wieder besser geht, musst du nicht mehr zu ihm. Das haben wir ja ausgemacht. Und dafür dass du so tapfer mit ihm gespielt hast, bekommst du auch noch dein Taba.

Gönnhardt: Wenn du möchtest, machen wir dem Sören so viel Angst, dass er sich nie wieder zu dir traut.

Im Moment hatte er andere Sorgen, aber ein paar Tage später nahm Tim Gönnhardts Angebot an. Taba war nämlich das Stichwort, das die Situation veränderte. Tim wollte sofort sein Taba, er hatte schließlich hart dafür gearbeitet. Schorschi wollte auch.

Die Geburtstagsfeier wurde ins Schloss verlagert, weil Anne sich den Weg von der Tanke zurück zur Lichtung in der Dunkelheit nicht zutraute.

Während Schorschi und Tim ungeduldig auf ihr Taba warteten, suchte Reinholdt ein Vieraugengespräch.

Reinholdt: Und was machen wir jetzt?

Gönnhardt sagte zu seinem Freund: Wir nehmen das Leben, wie es uns serviert wird. Egal was kommt, wir benehmen uns anständig.