Alles Gute.
Gönnhardt brachte bei seiner Rückkehr aus dem Schloss eine Decke mit. Er schleifte sie neben sich her, als er den einsamen Gang zu den anderen Füchsen zurücklegte. Claudette, Schorschi, Florentine und Reinholdt sahen gefasst zu, wie ihr Held, ihr Retter, ihr Bertram in die Decke gepackt wurde. Tränen brachen aus, doch niemand konnte sie sehen, während die Füchse im Regen standen.
Guido war erleichtert, endlich zur Tat schreiten und einen Teil beitragen zu können. Keiner machte ihm Vorwürfe, er fühlte sich dennoch schuldig. Guido trug die vollgesogene Plane mit dem leblosen Körper in den Schlossgarten. Es war schwer, aber Guido wollte sich nichts anmerken lassen.
Allen Füchsen war klar, wo Bertram seine letzte Ruhe finden sollte: auf der Lichtung. Das schlechte Wetter hatte den Schlossgarten geleert. Unbemerkt konnten die Füchse den Sargträger zu ihrem Versteck führen. Der wollte die Ruhe nicht stören, Guido biss auf die Zähne, um nicht zu keuchen.
In der vertrauten Umgebung floss es wieder. Diesmal Schweiß, es war eine wilde Buddelei, als die Füchse schluchzend eine Kuhle gruben. Nach einigen Minuten sahen sich Gönnhardt und Reinholdt ratlos an, denn sonderlich weit beziehungsweise tief waren sie nicht gekommen. Neben einem Häufchen Matsch befand sich lediglich eine kleine Mulde.
Erst als Guido mit einer Schaufel nachhalf, wurde aus dem Erdloch ein stattliches Grab. Obwohl es schon seit Längerem nicht mehr regnete waren Guidos Kleider frisch durchnässt, als er sich von den Füchsen verabschiedete. Guido wollte sich entschuldigen, Guido wollte sich bedanken, er suchte nach Worten, doch fand nur Gestammel. Gönnhardt erlöste den Armen mit warmen und ernstgemeinten Worten.
Gönnhardt: Guido, du hast uns allen geholfen. Ohne dich wären wir schon längst nicht mehr hier. Dich trifft keine Schuld. Wir danken dir für alles.
Claudette schmiegte sich an ihren Guido. Guido beugte sich herab, wollte sich nochmal bei ihr persönlich entschuldigen, bei ihr persönlich bedanken, doch Claudette war es, die die richtigen Worte fand: Ruh dich mal schnell aus. Wir sehen uns morgen, Guido. Im Schloss gibt es mächtig was zu putzen. Da brauch ich einen ausgeschlafenen Helfer.
Die Füchse waren alleine. Sie umringten das Grab von Bertram, das mit einem Viereck aus Tannenzapfen dekoriert war. Nur mit viel Phantasie konnte man den Fernseher erkennen, durch den Bertram von nun an von da unten glotzen konnte. Claudette weinte als erste, dann stimmten Schorschi und Florentine ein. Gönnhardt versuchte stark zu sein. Gönnhardt schloss die Augen. Nach einem kurzen Moment kullerten salzige Tropfen, während er vor dem braunen Fleck aufgeschütteter Erde stand.
Schorschi: Die Geschenke kriegst du später.
Da war ja was gewesen, dachte Gönnhardt. Es war eine komische Tragödie. So tragisch, dass es komisch war. Sein Geburtstag war der Tag, an dem Bertrams Leben ein Ende fand. Immerhin flog durch die Beerdigung nicht auf, dass Gönnhardt Bertrams Jahrestag vergessen hatte. Glück im Unglück: So mausetot, wie er war, musste Bertram wenigstens nicht so tun, als wäre er von den einfallslosen, lieblosen, schlechten und nicht-existenten Geschenke begeistert.
Claudette war enttäuscht: Ich wollte doch für ihn etwas aufführen. Kann ich das trotzdem machen?Er schaut von da unten bestimmt zu.
Reinholdt: Bringen wir es halt hinter uns. Aber wir wollen keine Zugabe.
Angestrengt überlegend, wie die Choreografie nun weiterging, tanzte Claudette mal auf Bertrams Grab, mal daneben. Sie drehte sich im Kreis, hüpfte und sang.
Nach ihrer Showeinlage herrschte lange Stille.
Schorschi unterbrach die Grabesruhe: Ist das jetzt eigentlich die Geburtstagsparty von Bertram?
Die Füchse waren sich schnell einig, dass sie lieber Bertrams Leben feiern, als aufgrund seines Todes trauern sollten. Bertram, ihr Held und Retter, der sich für seine Freunde opferte, sollte einen gebührenden Abschied erfahren. Gönnhardt musste auf die Zähne beißen, als seine Freunde den gefallenen Kameraden in den Himmel lobten. Dann entschied er sich, dass Bertram das dunkle Geheimnis mit ins Grab nehmen durfte. Das war sein Geschenk. Das war viel besser als der Stock von Reinholdt, die Erlaubnis Florentine streicheln zu dürfen und das halb-ausgemalte Malbuch von Schorschi, urteilte Gönnhardt.
Die Füchse feierten auf ihrer Lichtung bis in die Dämmerung. Sie erzählten sich Geschichten über Bertram, die ausgeschmückt, aufpoliert und teilweise außerordentlich unwahr waren. In diesen Stunden wurde Bertram zur Legende. Noch viele Füchse nach ihm sollten ehrfürchtig von seiner selbstlosen Aufopferung schwärmen.
Knack.
Ein Ast wurde abgeknickt.
Gönnhardt zuckte zusammen. Er fragte erschrocken in die Runde: Was war das?
Die Füchse waren vor Angst verstummt.
Plötzlich räusperte sich jemand, dann raschelten Blätter.
Szenenwechsel und zurückgespult: Während die Füchse erst trauerten, dann feierten, brach im Schloss Hektik aus. Nachdem sich morgens der Fall von einem geköpften Gartenzwerg in einem Schrebergarten in die Länge gezogen hatte, konnte ein grauhaariger Richter am Mittag einen Durchsuchungsbefehl erlassen. Und dieser wurde postwendend umgesetzt. Da es genügend Hinweise auf eine Täterschaft der Tiere im Fall Kinderstube gab, sollte jetzt nach handfesten Beweisen gesucht werden.
Zwei Beamte wurden abkommandiert und durchkämmten nachmittags, nachdem sie den Schauer in ihrem Einsatzwagen abgewartet hatten, das Schloss von links nach rechts und von unten nach oben.
Die Beamten wollten sich diesen Zoo nicht alleine antun, deshalb spielte ein einbestellter Ortskundiger sowohl Zoowärter als auch Fremdenführer. Während die behandschuhten Mannen jeden Fetzen in Augenschein nahmen, bekamen sie erklärt, welcher Raum von welcher Tierart bewohnt wurde. Die ganze Bude wurde auf den Kopf gestellt, der wenige Besitz der Tiere aufmerksam beäugt. Es dauerte bis in den frühen Abend, bis genügend Spuren gesichert waren. Für die Beamten ging es weiter im Programm. Als sie das Schloss verließen, bekamen die Polizisten einen Notruf rein: Einem weiteren Gartenzwerg wurde der Kopf eingeschlagen.
Nachdem er diese Schreckensmeldung über sinnlose Gewalt und Zerstörungswut verarbeitet hatte, musste der Ortskundige ein paar Meter gehen. Dann wurde sich begrüßt, begrüßt und abgeknutscht, verabschiedet. Im Anschluss machte sich der Ortskundige auf die Suche.
Gar nicht so einfach, wenn es langsam dunkel wird, man der Sehfähigkeit beraubt wird und schwer beladen ist.
Gelächter.
… und dann hat er dem Bugar die leere Schüssel hingestellt. Und der hat nichts bemerkt!
Ganz sicher: Das war Gönnhardt! Nur noch ein paar Meter, nur noch einige Schritte vom Ziel entfernt! Jetzt bloß nicht die Orientierung verlieren!
Mit brachialer Gewalt wurde ein kleiner Stamm umgedrückt und ein großer Strauch weggeschubst.
Und dann stand Anne auf der Lichtung. Sie war erstmal erleichtert, am Ziel angekommen zu sein. So ortskundig, wie angenommen, war sie wohl doch nicht. Aus dem Weg, den ein erschöpfter Guido erklärt hatte, war eine Schnitzeljagd geworden.