Gönnhardt: Kapitel 61

Verplant.

Nach Motorenlärm, dem Knall, den leiseren Geräuschen, gefolgt dem Quietschen war es ruhig auf dem Schlossplatz. Die Ruhe nach dem Sturm. Das Regenprasseln wurde zu einem uninteressanten Hintergrundgeräusch degradiert.

Gönnhardt sah das Karlsruher Schloss vor sich. Er erinnerte sich an die schöne Zeit, bevor die Wölfe ihnen das Leben zur Hölle machten. Gedanken über Gedanken schwirrten im Kopf, ihm wurde schwindelig. Gönnhardt befürchtete, dass er gleich umkippen würde. Er setzte sich vorsichtshalber hin, um weicher zu landen.

Er blinzelte langsam und fest, hoffte dadurch wieder Herr seines Gleichgewichtssinnes zu werden.

Ängstlich inspizierte der Fuchs seinen Körper. Ja, er war verletzt, aber er würde es überleben. Alles halb so wild. Nichts, was ein bisschen Spucke nicht zusammenhalten konnte.

Als er seine Wunden leckte, wurde Gönnhardt klar: Die Flucht war gelungen, der Plan war aufgegangen. Keiner der Ausweichpläne wurde benötigt. Gönnhardt musste grinsen, bald kicherte er. Die Sache mit den Rentnern war einfach perfekt. Sie war so nicht eingeplant, aber bestimmt das Glück der Tüchtigen.

Er richtete sich wieder auf. Der Fuchs stand im Regen, der Hut durchnässt, das Fell zerzaust. Seine Kraft reichte nicht aus, um zu seinen Freunden zu gehen. Er blieb mit einigen Metern Abstand hinter ihnen und stellte Ferndiagnosen. Florentine und Claudette sahen heil aus. Die beiden Fuchsdamen verglichen ihre Schrammen. Beide waren zufrieden, dass Claudette mehr abgekommen hatte. Die Hoffnung, dass nun alles besser wird, stand Schorschi ins Gesicht geschrieben. Reinholdt hatte sich hingelegt, er schaute in den Himmel, ließ sich von den kalten Tropfen erfrischen.

Jetzt schmuste sich Florentine an Reinholdt. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr. Reinholdt sah erst verwundert aus, dann lächelte er eine Wolke an und rieb seine Wange liebevoll an der von Florentine.

Die Idylle wurde gestört, als Guido angerannt kam. Er hatte seinen Platz am Fenster über der Gasse verlassen. Er war sofort losgespurtet, als das Auto in Bewegung gesetzt wurde. Guido sah sich um, vergewisserte sich und wurde noch blasser.

Er hob die Arme an den Kopf und schrie zu Claudette: Die ist zu früh losgefahren! Die ist zu früh los!

Gönnhardts Lachen blieb ihm im Halse stecken.

Die Füchse waren irritiert. Alle Augen waren auf ihren menschlichen Freund gerichtet. Gönnhardt war versteinert. Claudette ging auf Guido zu. Guido hob abwehrend die Hände: Claudi, das musst du mir glauben, die ist zu früh los. Ich hab kein Zeichen gegeben.

Und bevor Claudette etwas sagen konnte, erleichterte Guido sein Gewissen. Er hatte Schuldgefühle, wollte sich rechtfertigen. Während er so erzählte, trotteten die Füchse von ihren verstreuten Plätzen zu ihm. Denn was er da erzählte, war höchst interessant.

Guido: Alles hat damit angefangen, dass der Gönnhardt wollte, dass ich die Anne anrufe. Der wollte damals irgendwas Unwichtiges von ihr. Das war das erste mal, dass ich für ihn telefoniert hab. Ja klar, hab ich das gemacht. Ist ja nichts dabei. Und das mit dem Anrufen hab ich dann immer öfters gemacht. Euch helfen war halt mein Beruf, Claudi. Und den Gönnhardt mag ich ja auch voll gern, deshalb hab ich nichts verraten. Er hat mich halt darum gebeten.

Guido erzählte von den konspirativen Treffen mit Gönnhardt und Bertram. Er berichtete völlig aufgelöst von der Visitenkarte mit dem Totenschädel, mit der Gönnhardt bei der Willkommensparade von einem Oststädter beworfen wurde. Dann von der Telefonnummer. Und von der Unterredung, die er mit Marc arrangiert hatte.

Guido stand da wie ein begossener Pudel. Seine Haare, die mal wieder einen Schnitt vertragen konnten, klebten an seiner Stirn. Seine Jeansjacke war mittlerweile durchnässt, von dort tropfte es auf seine durchgetretenen Turnschuhe.

Gönnhardt nickte still. Ohne Guido hätte er mit Marc nie unter Ausschluss der Öffentlichkeit sprechen, ihn nie überzeugen können.

Und dann versicherte Guido, dass er von dem Plan und dessen Ausführung überrumpelt wurde: Der Bertram und der Gönnhardt haben ausgemacht, dass ein paar Leute aus der Oststadt helfen. Im Tausch gegen gute Worte bei der Stadt wegen Fördergeldern und Stiftungen und so. Ich hab das alles nicht so genau mitgekriegt. Dann haben die Leute mir heute halt erklärt, dass ich da ans Fenster sollte. Die wollten die Wölfe jetzt auch schnell loswerden. Der Bertram und der Gönnhardt, die waren so überzeugt von dem Plan. Die haben mich richtig angesteckt. Wir wollten die Wölfe einfach einsperren und abtransportieren lassen. Umsiedeln und so was. Wegen dem armen Kind war ja alles noch schlimmer, meinten die. Ich wollte erst nicht. Aber ja, die Wölfe sind halt so böse. Die haben gemeint, dass ich der Einzige bin, der in das Gebäude kommt. Stimmt ja auch, hab da ja ständig Botengänge. Die Vanessa von der Rezeption, mit der bin ich per du. Gut, dann bin ich an das Fenster über der Gasse. Dort sollte ich warten, bis ihr aus der Gasse rauskommt und dann das Zeichen geben. Claudi, zwei Daumen nach oben waren das Zeichen. Zwei! Ich habe euch dann gesehen, wie ihr aus dem Schloss gerannt seid. Und die Wölfe hinterher. Ich hab mir solche Sorgen gemacht, es hat so lange gedauert. Ihr wart so lange auf dem Marktplatz. Ich dachte schon diese Bestien, die hätten euch erwischt. Mir ist so ein Stein vom Herzen gefallen, als ich sehen konnte, welchen Vorsprung ihr auf dem Rückweg in der Gasse hattet. Das war ja genau wie von Bertram und Gönnhardt geplant.

Dann sagte er, dass er genau mitgezählt hat. Und auch ganz genau wusste, wann er sein Zeichen geben musste.

Guido: Der Schorschi war der erste, der aus der Gasse kam. So ging es dann zügig weiter. Und dann kam der Gönnhardt irgendwann gerannt. Fünf! Ich kann doch zählen! Fünf! Und die ist einfach losgefahren. Ich hab aber gar kein Zeichen gegeben. Ich habe die Hand hochgehalten. Stopp! Halt! So.

Guido hatte während dem Ende seiner Erzählung alle fünf Finger seiner Hand weit gespreizt. Nun schloss er langsam seine Faust, dabei sah er Gönnhardt an. Guido versuchte, dem Fuchs tief in die Augen zu schauen. Doch Guido brach den Blickkontakt ab, bevor er zustande gekommen war. Es tat ihm so leid.

Gönnhardt blickte zu Boden. Ein Bach strömte zwischen seinen Beinen hervor. Es war ein Rinnsal aus Blut, sehr viel Blut. Gönnhardt rutschte das Herz in den Magen.

Er drehte sich um.