Gönnhardt: Kapitel 57

Kreise ziehen.

Der Vormittag war ereignisreich gewesen, Gönnhardt hatte Gespräche geführt und Entscheidungen getroffen.

Nachmittags drehte Gönnhardt Runden wie Dagobert Duck in seinem Geldspeicher, während er versuchte die Geschehnisse einzuordnen. Grübeln war schon immer eines seiner Laster gewesen, deshalb konnte er still seine Kreise ziehen, ohne von seinen Freunden gestört zu werden. Sie kannten ihren Gönnhardt. Einzig Bertram reckte immer wieder besorgt den Kopf zu seinem Freund. Aber er wusste, dass es Einiges zu verarbeiten gab.

Wer viel nachdenkt kennt es: Entschlüsse werden hinterfragt. Und so geisterten zermürbende Gedanken durch Gönnhardts Kopf: Hatte er einen Fehler gemacht? Konnte er auf die Abmachungen vertrauen? Wieso nicht einfach alles abblasen?

Die Ausgangslage war eigentlich klar: Es musste reagiert werden. Die Emotionen der Menschen waren hochgekocht. Die Demonstranten wurden als Rächer des Kindes gefeiert. Es sah nicht danach aus, als ob Gras über die Sache wachsen würde. Im Gegenteil, die Lage würde für die Füchse höchstwahrscheinlich immer brenzliger werden. Nicht nur die Wölfe spielten ohne Rücksicht auf Verluste, auch die Menschen, allen voran der neue Anführer, waren scheinbar zu Opfern bereit.

Gönnhardt hatte noch in der Nacht nach der großen Demo gemutmaßt, dass es beim nächsten mal bestimmt nicht bei zerbrochenem Glas bleiben würde. Das war ja einer der Gründe, warum er handelte.

Aber mittlerweile war der erste Schrecken verdaut.

Und nun …

Gönnhardt hatte Angst. Nicht um sich, sondern um seine Freunde. Auch vor ihrer Reaktion, wenn er ihnen reinen Wein einschenkte. Bisher hatte er geschwiegen. Der Rückzieher war eine valide Option.

Es war wie beim Rupfen von Gänseblümchen. Er wollte, er wollte nicht. Laut seinem Ergebnis wollte er, doch traute sich nicht. Und so überlegte er weiter.

Hin und her.

In seinem Kopf fand ein Tauziehen zweier gleichstarker Mannschaften statt. Es tat sich einfach nichts. Mal entschied sich Gönnhardt für das Ja, und dann einen Augenblick später wieder um.

Gönnhardt blieb stehen, er betrachtete seine Freunde. Glücklich sahen sie nicht aus. Aber immerhin noch unversehrt.

Gönnhardt sagte nachdenklich zu sich selbst: Noch unversehrt. So weit sind wir schon, damit ist eigentlich alles entschieden.

Er sah irre aus, als er sich selbst zustimmte: Ja, du machst das. Ja, du machst das. Ja, du machst das. Ja, du machst das. Ja, du machst das. Ja, du machst das. Sein Kopf wippte auf und ab, als Gönnhardt zu seinen Freunden ging.

Die Füchse verstanden sofort, lautlos bildeten sie einen Halbkreis. Wie auf Kommando steckten sie die Köpfe zusammen, dann zischelte, tuschelte und raunte es. Schorschi warf einen verstohlenen Blick auf die Wölfe. Gönnhardt wies ihn umgehend zurecht. Die Wölfe waren nur wenige Meter entfernt. Sie lungerten faul und frei von Sorgen auf der Couch herum, doch man wusste nie. Gönnhardt fasste sich vorsichtshalber kurz und hatte bald alles gesagt.

Gönnhardt löste sich von der Gruppe. Er zog seinen Hut auf. Bertram sah ihn entgeistert an. Da war er wieder, der vorsichtige Bertram, er wisperte: Gönnhardt, nein! Das war doch keine gute Idee. Es gibt bestimmt noch einen anderen Ausweg. Wir müssen nur drauf kommen. Lass uns nochmal in Ruhe überlegen.

Gönnhardt ignorierte die Worte, er atmete tief durch. Gönnhardt zu sich selbst: Angriff ist die beste Verteidigung.

Reinholdt traute seinen Augen nicht, sie mussten ihn anschwindeln. Florentine war genauso baff: Er tut es wirklich.

Reinholdt ehrfürchtig: Der Gönnhardt! Immer für eine Überraschung gut.

Was sie beobachteten, war tatsächlich kaum zu glauben: Gönnhardt ging zum Sofa. Für ein paar Sekunden stand er reglos da. Er starrte ein Loch in die Wölfe. Gönnhardt schluckte, dann räusperte er sich. Desinteressiert schaute Zmirka zum Fuchs. Bevor irgendeine Reaktion möglich war, riskierte Gönnhardt die dicke Lippe, vor der er so viel Angst hatte: Ihr könnt mich alle mal!

Wolfsköpfe schnellten hoch, böse Blicke flogen zu Gönnhardt. Dieser machte einen Schritt auf die Wölfe, deren volle Aufmerksamkeit er nun inne hatte, zu. Nur wenige Zentimeter vor der Couch wurde Gönnhardt persönlich, er pöbelte Bugar an: Du bist sogar für einen Wolf richtig dumm!

Dann legte er eine Schippe drauf und provozierte Drohl: Du bist der Schwächste von allen Wölfen. Hammak sollte deinen Posten übernehmen.

Damit war eine neue Eskalationsstufe erreicht, schließlich wollte Drohl seine Führungsposition auf gar keinen Fall hinterfragt wissen. Auf einen Machtkampf mit seinem Bruder war er aus gutem Grund ganz und gar nicht scharf. Drohl stand auf, er wollte Gönnhardt das vorlaute Maul stopfen. Gönnhardt wich ein paar Schritte zurück. Zu diesem Tanz ließ sich kein Wolf zweimal bitten. Die anderen Wölfe bauten sich neben Drohl – im Fall von Hammak sogar vor ihm – auf. Drohl hoffte, die anderen bemerken nicht, dass damit Gönnhardts Aussage bestätigt wurde.

Nun wurde das Geschehen noch absurder, denn Gönnhardt biss zu.

Gönnhardt war schnell. Erst traf es Hammak, dann nahm er sich wie geplant Zmirka und Gorra vor. Er arbeitete wie ein Specht. Gönnhardt riss den beiden Wolfsdamen büschelweise Fell aus. Damit hatten die Wölfe nicht gerechnet, sie waren für einige Sekunden erstarrt. Das war der Moment, den Gönnhardt nutzen musste.

Er drehte sich zu den anderen Füchsen um. Sie hatten seine Anweisungen glücklicherweise befolgt, und erwarteten Gönnhardt an der Tür.

Gönnhardt schrie den Füchsen mit vollem Mund zu: LOOOS!

Während er rannte, spuckte er angeekelt vor sich hin. Nachdem Gönnhardt das Schloss verlassen hatte, sah es dort aus wie beim Frisör. Der Fußboden war voll kleiner Berge von Haaren. Gönnhardt hatte den Wolfsdamen einen gewöhnungsbedürftigen Haarschnitt verpasst.

Die Gerupften schauten erst einander, dann die Herren an.

Schneller als erhofft kamen die Wölfe wieder zur Besinnung. Und mit der Besinnung kam grenzenlose Wut.