9. Dezember, 10 Uhr 28

Feierbiest! Die letzten Tage war ich abends vielleicht auf Tour. Meine armen Organe sind die Leidtragenden meiner Trauerbewältigung. Die sind bestimmt am Leistungslimit. Wobei ich nicht wirklich traurig bin, ich bin umgeben von netter Gesellschaft. Meinen Wettgewinn habe ich gestern eingelöst. Bei Isy zu schlafen hat viele Vorteile, das könnte ich öfters machen. Wahrscheinlich werde ich jetzt zum Zocker, damit ich oft genug gegen sie gewinne. Sie wohnt zentraler als ich, dadurch torkelt es sich leichter von unseren Stammkneipen heim. Wir kamen so spät heim, dass sich Schlafen kaum gelohnt hat. Zwinker, Zwinker. Ich war somit pünktlich beim Kiosk. Bisschen aufgeputscht habe ich mich zugegebenermaßen, sonst hätte ich nicht arbeiten können.

Von Anna habe ich gar nichts mehr gehört, weder im Flur noch durch irgendwelche Mitteilungen. Entweder ist sie zur ihren Eltern geflüchtet oder sie ist so am trauern, dass sie nicht in der Lage ist, den Briefkasten zu leeren. Wobei ich eh kaum etwas mitbekommen hätte.

Falls Isy verhindert ist – sie ist natürlich die erste Wahl, ballere ich mich mit meinen Jüngern weg. Tim und Johnny sind für jeden Spaß zu haben. Spätestens, wenn ich ein wenig Druck ausübe. Wie der Esel einer Karotte am Stock folgen mir die beiden treudoof und ohne Widerworte. Die Sache mit dem Typen aus der Kneipe stellt sie immer noch vor Rätsel. Mittlerweile nerven sie damit nicht mehr, sie sind jetzt voll Bewunderung. Sie sind die ersten Untertanen des Suizidkönigs.

Letztens hatten sie ein paar spannende Ideen. Sie haben ein wenig phantasiert, wie man Geld beschaffen könnte. Dabei überlegten sie, wen man so abziehen könnte. Je später der Abend wurde, desto mehr Gefallen habe ich an ihren Ideen gefunden.

Interessant wurde die Sache auch, weil die kleine Geldspritze von Ulli nicht für die Ewigkeit hält. Miete, die ganzen Fixkosten und meine variablen Freizeitausgaben knabbern ganz schon an meinem Guthaben.

Heute hole ich mir immerhin ein saftiges Sümmchen zurück. Die Quittung für den dämlichen Ring konnte ich aus meinem Mülleimer fischen. Das dumme Teil wird heute Abend zurückgebracht. Was soll ich mit so einem teuren Schmuckstück, wenn ich das Geld in Scheinen gebrauchen kann?

Da es heute im Kiosk richtig ruhig ist, versuche ich seit dem frühen Morgen herauszufinden, wie die Stimmung in Bremen bezüglich der Anschuldigungen von Alex ist. Es ist grausam mit diesen normalsterblichen Langweilern zu kommunizieren. So exotisch wie Käsebrote, so spannend, wie den Wetterbericht von letzter Woche.

Mike bestätigte, was ich vermutete: Dass Alex ziemlich über mich herzieht, überall ihre krude Theorie wegen Lars verbreitet. Er stimmt mir zu, dass sie ein bisschen am Rad dreht. Heute haben Kimmy und Immo geantwortet. Kimmy findet die Sache „mysteriös“ und „steht hinter Alex“. Typisch, die Alte. Immo war solidarisch, beruhigte mich, dass Frauen eben so sind, dass ich der Sündenbock bin. Sie hat eigentlich recht, trotzdem ist es unfair, dass ich mir wegen ihr so einen Stress machen muss.

Ansonsten scheint sicher, dass ich über Weihnachten zurück nach Bremen fahre. Meine Familie macht sich Sorgen, weil ich mich so unregelmäßig melde und auf die Anrufe nicht antworte – ich bin halt beschäftigt. Meine Mutter bestand darauf, dass ich heimkomme. Ich hatte keine andere Wahl. Ihr Argument war eine Drohung: Sonst würden sie sich an Heilig Abend ins Auto setzen und Richtung Karlsruhe aufbrechen.

Mal schauen, ob ich mir Stoff mitnehme oder dort besorge.