6. November, 18 Uhr 12

Mein Plan ging auf wie eine Knospe. Anna hat ihr kleines, aber feines, Nikolausgeschenk glücklicherweise erst heute Morgen entdeckt. Da habe ich mit dem Schuhschrank als Versteck richtig gepokert. Ich bin kein Fußfetischist und fand es etwas eklig, die Lebensmittel in einem ihrer Stiefel zu versenken, aber das ist nun mal Brauch. Die Schokolade war noch verpackt und Mandarinen haben ja auch eine Schale. Auf der Arbeit, bekam ich die erhoffte Mail: Du bist so süß. Danke!

Ich spiele jetzt mal Dichter und reime mir den Ablauf zusammen. Ich vermute, dass sie das Geschenk erst kurz vor dem Verlassen des Hauses entdeckt hat. Ich meine, wann ziehst du sonst deine Schuhe an?! Jedenfalls war sie dabei in ihrer gewohnten Eile, weil sie nie zeitig aus dem Bett kommt. Snooze-Button sei verflucht! Im Schuhschrank hat sie das Geschenk entdeckt. Unter Zeitdruck hat sie die Sachen liegen lassen. Den Ring hat sie bestimmt nicht gefunden, dazu war ihre Mail zu zurückhaltend. Soweit meine Vermutungen.

Mein Tag war derweil auch cool. Ich war arbeiten, fleißig Zeug angepriesen. Vielleicht sollte ich es mal als Autoverkäufer versuchen, ich komm richtig in Redefluss, wenn ich ein bisschen was ziehe. Die gute Laune vom Chef, als er Kasse und Warenbestand sah, war ansteckend: „Mensch Anders, ich wusste doch, dass wir sie noch gebrauchen können!“

Den Mittag hab ich mir mit Einkaufen vertrieben. Anschließend war ich noch bei Isy. Wir treffen uns immer öfter. Ich bin immer froh, wenn sie dabei ist. Eine reine Männerrunde ist einfach nicht so das Wahre. Isy bat um meine Hilfe. Sie hat sich einen neuen Fernseher besorgt, wir mussten das alte Trümmergerät von Röhrenfernseher vom 4. Stock runterschleppen. Es ist erbärmlich, wie lange es gedauert hat. Währenddessen kam auch eine neue Mail von Anna. Ein Gutes hat die grassierende Armut. Egal, was man in Zeiten verbreiteter Geldknappheit loswerden will: Ein Zu-Verschenken-Zettel ist effektiver als jeder Sperrmüll. So waren nicht genötigt, das Teil weiter zu entsorgen. Wir haben gewettet, wie viel Zeit vergeht, bis die Glotzbox weg ist. Den schwarzen Kasten von ihrem Küchenfenster aus genau beobachtet. Keine 15 Minuten hat es gedauert, bis der alte Fernseher abtransportiert war. Ich habe natürlich gewonnen, sie schuldet mir jetzt was.

Zurück zu Anna: Zuhause angekommen ist sie bestimmt kurz vor der zweiten Nachricht. Dort hat sie das Geschenk genauer begutachtet, und meinen Ring entdeckt. Die nächste Nachricht war nicht ganz so nett: Das kann ich auf keinen Fall annehmen, Sorry Anders, das geht nicht. Sie ist zwar kein Schmuckfachmann, aber die Marke auf dem Kästchen lässt eine hohe Preisklasse vermuten. Ich wollte vor Isy nicht ausflippen, aber ein paar Mails sind schon durchs Weltall oder durch die Luft – wie das mit diesen Satelliten eben funktioniert – geflogen. Ich habe in zu vielen Worten gesagt, dass es ein Geschenk ist und sie es behalten muss. Sie hat in noch mehr Worten geantwortet, dass sie nicht will.

Der Abend kam: Ich bin mit der Sektflasche, die ich für das Herzschlagfinale kaltgestellt hatte, hoch zu Annas Wohnung. Statt mit einer herzlichen Umarmung wurde ich mit einem Blick empfangen, als hätte ich ihren Geburtstag vergessen. Ich musste mich selbst hereinbitten.

Sie wollte diskutieren. Ich dachte, dass wir uns dabei gegenseitig ein bisschen ärgern, und sie den Ring dann voller Stolz zu besonderen Anlässen trägt. Weit gefehlt. Sie hat ihn mir in die Hand gedrückt und verlangt, dass ich ihn zurücknehme Ich war etwas verwundert, habe ihr klar gemacht, dass das kein Verlobungsring sein soll. Ich, lachend: „Keine Sorge, heiraten will ich dich ganz sicher nicht!“ Das war taktisch unklug. Nach dem Satz sind auch die letzten Dämme gebrochen.

Anna, aufgebracht: „Ich bin nicht käuflich“. Dann: „Du behandelst mich wie ein Stück Fleisch.“ Und: „Du willst mich doch eh nicht.“ Um nicht schon wieder in ein Fettnäpfchen zu treten, entschuldigte ich mich. Ich musste durchatmen, bin deshalb kurz zu mir runter. Dort habe ich mir zur Beruhigung eine meiner Schlaftabletten geschmissen. Diese Verschnaufpause hätte ich ihr nicht geben sollen. Als ich wieder hochgekommen bin, war sie in Rage: „Jetzt bist du eh wieder drauf. Mit dir kann man nicht mehr reden, du bist ein richtiger Drogennehmer geworden.“

Das war mein Stichwort: „Du bist doch einfach eine Verräterin. Ich weiß, dass du hinter meinem Rücken über mich redest. Mit wem hast du über mich gehetzt?“ Sie antwortete nicht. Niemand hörte dem anderen zu, während wir schrien. Ich wurde zum Glück etwas entspannter, die Pille wirkte endlich. Dennoch traf mich der nächste Paukenschlag wie ein Blitz: Sie hat die Beziehung beendet.

Was sollte ich tun? Also habe ich Schluss gemacht. Dann meinte sie, dass es vorbei ist. Danach ich, dass wir uns nie wieder sehen sollten. Es herrschte Schweigen. Wir waren an dem Punkt an dem alle Worte gesagt waren, alle Trümpfe gespielt. Es gab nur noch einen möglichen Zug.

Ich stand in ihrem Wohnzimmer, wollte nicht gehen, aber wusste, dass ich es tun muss. Den Ring hatte ich zu dem Zeitpunkt schon wieder in der Hand. Wie und wann sie ihn mir in die Hand gedrückt hat, kann ich nicht sagen. Es war während des Streits ein Hin und Her wie beim Völkerball.

Ich wollte sie nicht mehr ansehen, das würde mich nur wütend machen. Rastlos jagten meine Augen durch den Raum. Und wer schaute mich da dummdreist von der Couch an? Mit leerem Blick und einem höhnischen Lächeln im Gesicht: dieser grinsende Drecksbär. Die Verbindungen im meinem Hirn haben sofort geschaltet. Ich wollte immer noch nicht gehen, aber noch weniger bleiben. Ich griff mir den Teddybären, meinte dramatisch: „Den nehm ich aber mit!“

Sie: „Das ist meiner!“ Dabei schlossen sich ihre Finger wie eine Bärenfalle um die Beine des Plüschtiers. Wie zwei Grundschüler haben wir an dem Bären gerissen und gezogen. Anna setzte ungeahnte Kräfte frei – wie eine Mutter, die ein Auto anhebt, um den Jüngling zu befreien. Da ich mir nicht sicher war, ob ich das Duell für mich entscheiden konnte. Riss ich mit einem letzten brutalen Kraftakt.

Der Ruck bewirkte das, was ich wollte: Der Kopf hat sich so sauber gelöst, wie ich hoffte. Nähen ist eben ein Handwerk, das gelernt sein will. Die Flickschusterei, als ich meine Drogenbeute in dem Teddybären verstaute, war Pfusch. Nachdem der Bär geköpft war, rieselten viele Päckchen Pulver auf den Boden – es war so viel, ich hatte vergessen, wie viel es war. Als würde der erste Schnee das Jahres fallen, hat Anna inne gehalten und einfach nur gestaunt.

Das war meine Chance. Ring in die Hosentasche gesteckt, Teddybär unter den Arm geklemmt, die Päckchen hastig aufgesammelt. Anna sah geschockt aus, als ich rückwärts aus dem Raum bin. Aus den Augen aus dem Sinn: Ich blickte mich nicht mehr um. Anna hat sich wahrscheinlich erst wieder bewegt, als sie zusammengezuckt ist, weil ich die Tür zugeknallt habe.

Nach dieser Trennung sollte ich traurig sein, aber diese Genugtuung gebe ich ihr nicht. Die gesellschaftlichen Normen und Gepflogenheiten gelten für mich nicht. Ich mache mir einen schönen Abend. Ich glaube, dass das Speed im Plüsch gereift ist wie Whisky im Fass. Vielleicht lag der Wohlfühleffekt auch daran, dass ich mir eine besonders große Portion gegönnt hab. Mir gefällt die Variante mit der Reifung allerdings besser. Dann ist der Teddybär immerhin für etwas gestorben.

Anna geht es bestimmt mies. Wahrscheinlich hat sie schon ein schlechtes Gewissen. Hat sie verdient. Die spinnt einfach. Da bekommt sie ein derart großzügiges Geschenk und macht mir so eine Szene. Anna liegt jetzt bestimmt im Bett und heult. Das Adrenalin wird sie lange wach halten. Ich hab das Problem nicht: Falls ich schlafen möchte, pfeife ich mir meine Schlaftabletten rein. Hat schon was, wenn man ein Drogennehmer ist.

Ich donnere mir jetzt was rein, danach checke ich die Lage. Mal schauen, was heute noch geht. Vielleicht gehe ich zu Isy, bei der habe ich ja was gut. Sobald ich was mit ihr ausgemacht habe, geht mein Handy in den Flugmodus. Da kann sich Anna entschuldigen wie sie will, sie wird leiden.