28. August, 0 Uhr 04

Wenn Tropfen fallen, schüttet es.

Ich stehe vor dem Spiegel einem geschunden Körper gegenüber. Ich habe Prellungen und Schürfwunden, Schmerzen wie nach einer Operation. Ich wurde von einem Auto angefahren. Die Einzelheiten sind verschwommen wie bei einem Weichzeichner. Ich bin mir nicht sicher, was genau passiert ist. Warum bin ich nach hause gelaufen statt in ein Krankenhaus?!

Was ich weiß: Ich bin mit meinem klimpernden Kleingeld in der Hosentasche aus dem Haus. Es wurde finster, hat bald angefangen zu regnen. Auf halbem Weg zur Post hat es richtig geschüttet. Haare nass, Jacke nass und das Schlimmste: Hose nass. In der Hose war nicht nur meine Münzsammlung, die so eine Dusche natürlich unbeschadet überlebt. Nein, auch die Nummer von Anna, der Zettel. Wieso kann ich Idiot nicht einfach ordentlich sein und wichtige Dinge sofort aus den Taschen machen?! Da ich mir nicht noch einen Bock leisten wollte, bin ich beinahe panisch in den SB-Bereich der Post gerannt.

Schadensbegrenzung. Gottseidank waren Paketaufkleber und Kugelschreiber vor Ort. Den durchweichten Zettel mit der Telefonnummer habe ich aus der Hose gepellt. Anschließend jede Ziffer säuberlich abgeschrieben. Die beiden Zettel habe ich dann in meinen Geldbeutel gepackt, die wohl einzige halbwegs wasserfeste Stelle an mir.

Der Brief war glücklicherweise nicht durchnässt. An den habe ich im Gegensatz zur Nummer auch gedacht. Den habe ich wie ein Küken in meinen Händen vor Wasserschäden bewahrt. Also Briefmarke gelöst und den Brief losgeschickt. Ich muss sagen, dass mir ein kleiner Stein vom Herzen gefallen ist, als ich den Brief im Briefkasten versenkt habe. Eine Erleichterung: Das liegt jetzt nicht mehr in meiner Hand… im wahrsten Sinne des Wortes.

Trotz des peitschenden Regens war ich in bester Stimmung. Da hat mich die zweite Freiluftdusche auch nicht weiter gestört. So entschloss ich mich heimgehen, statt mir die Beine in den Bauch stehen in der Hoffnung, dass sich die Wolken verziehen. Als ich mich wieder aus der Post wagen wollte, kam mir ein bedröppelter Penner entgegen. Der arme Kerl hatte augenscheinlich mehr gegen den Regen als ich, sonst hätte er ja nicht Unterschlupf in der gelben Hölle gesucht. In meiner überschwänglichen Laune hab ich das restliche Geld aus meiner Hose befreit und ihm in die Hand gedrückt. Viel wird es nicht gewesen sein, aber für drei, vier Dosen Bier wird es reichen. Zumindest, wenn er die Angebote im Discounter mitnimmt und nicht die Wucherpreise am Kiosk.

Gut, also raus in das Unwetter, eilenden Schrittes nach Hause. Auf dem Heimweg passierte mir das Unglück. Ich war fast alleine auf den Straßen unterwegs. Sogar der Verkehr war größtenteils erlahmt. Ich habe eine der letzten Seitenstraßen auf meinem Weg überquert, als ein Auto um die Ecke geschossen kam. Wie ein Reh konnte ich nur noch in die Scheinwerfer schauen.

Alles hell – geblendet.

Ich dachte, dass es das Licht am Ende des Tunnels war. Ich habe kein Quietschen gehört, keine Bremsgeräusche nur Krachen… meine Knochen, dachte ich. Es wurde schwarz.

Alles dunkel – Lichter erloschen.

Und jetzt liege ich hier im Bett. Ich habe Angst, dass tatsächlich etwas gebrochen ist. Da ich es geschafft habe, mich heimzuschleppen hoffe ich mal, dass nichts passiert ist. Das fehlt mir gerade noch. Aber die Schmerzen sind übel.

Meine Hüfte tötet mich. Meine Beine richtig zu benutzen traue ich mich nicht. Wenn der Kühlschrank ruft, schlurfe ich durch die Wohnung, wie es Junkies am Bahnhof machen, wenn sie die Mülleimer nach Essensresten durchforsten.

Ganz ohne Frage war der Idiot zu schnell unterwegs. So ein dreckiger Raser. Der Typ hat mich also komplett mitgenommen und ist dann einfach geflüchtet. In der Dunkelheit und bei dem Schock habe ich nichts erkannt: keine Autofarbe, Kennzeichen oder Gesicht. Naja, erstmal ausschlafen. Polizei und Arzt bringen mir jetzt auch nichts.