24. September, 17 Uhr 10

Willkommen im Keller. Zeitreise in eine Vergangenheit, die längst von einer glorreichen Gegenwart hätte verdrängt werden sollen. Kinderbilder von mir hängen an der Wand. In den Schränken lagen Andenken an meine jungen Jahre.

Direkt nach dem Aufstehen habe ich mir gesagt: kein Peter Pan Modus mehr, Schalter auf Erwachsen legen. Dann ging der Familienausflug los.

Bei dem Geburtstag hab ich mich gut verkauft, mit einem erfolgreichen Leben in Karlsruhe geprahlt. Starker Mann gespielt. Onkel Tanten, mein Bruder mit Familie – alle gutgläubig uns einfach zu beeindrucken. Dann tauchte Oma auf ich war wieder der Enkel.

Das Wiedersehen mit ihr war richtig nett. Wir haben uns etwas abseits ein Plätzchen gesucht. Sie hat sich über ihr Mitbringsel noch ein bisschen mehr gefreut als meine Mutter. Sie ist halt im wahrsten Sinne des Wortes eine Süße. Da kommen Pralinen und Süßigkeiten natürlich gut an. Dass wir die Übergabe heimlich machen mussten, damit niemand mitbekommt, dass sie ein Geschenk von mir kriegt, das Geburtstagskind allerdings nicht, hat ihr besonders gefallen.

Sie meinte, dass ich dünner geworden bin, aber dass es mir steht. Ich meinte, dass sie jünger geworden ist, aber dass es ihr steht. Was haben wir gegackert. Wir haben ein bisschen über die Verwandtschaft gelästert. Ich meinte, dass mein Onkel älter geworden ist, dass es ihm nicht steht. Als er sich gerade ein Stück Sahnetorte reinpfiff meinte Oma, dass er runder geworden ist, dass es ihm sichtlich gut geht. Gegacker.

Es war also wider Erwarten ein lustiger Geburtstag. Die Zeit ist schnell vergangen. Zum Glück war die Runde nicht groß, daher haben weder Kaffee noch Kuchen viel Zeit in Anspruch genommen. Ein Vorteil, wenn viele Rentner anwesend sind: Die Veranstaltungen werden zügig aufgelöst, weil die Damen und Herren kein Sitzfleisch haben. Die Geburtstagsfeier war schon am frühen Mittag vorbei. Da habe ich mir weit Schlimmeres ausgemalt.

Das gemeinsame Mittagessen in kleinem Kreise (mit Vater, Mutter, Oma), liegt ebenfalls hinter mir. Großen Appetit hat keiner von uns, aber da ich extra meine Lieblingslasagne aufgetischt bekam, musste ich mir natürlich auch noch Nachschlag holen.

Das war es dann so weit von meiner Familie. Ich konnte nach einem Verdauungsnickerchen endlich aus dem Keller kriechen. Der Umzug ist gut von der Bühne gegangen. Die drei haben mich zum Hotel gefahren. Ich bin nun zwar ein paar Euro ärmer, aber habe dafür meine Ruhe vor den ganzen Erinnerungen. Ich habe gemeint, dass ich ein paar größere Grafikaufträge ans Land gezogen habe, das mit dem Geld also wirklich, wirklich, ja, wirklich keine große Sache ist, so konnte ich auch noch den letzten Überredungsangriff meiner Mutter abwehren.

Das Hotelzimmer geht in Ordnung. Es ist ein in die Jahre gekommenes Zimmer, die Einrichtung ist spartanisch, aber trotzdem sind es zu viele Möbel für den kleinen Raum nicht gemütlich, man hält es aus. So wie ein Einzelzimmer in einem Mittelklassehotel eben ist. Besser als an die Ex-Freundin und unglückliche Tage erinnert zu werden ist es allemal.

Apropos Freundin und erinnern: Anna habe ich schon wieder angerufen. Es versucht. Schon wieder war es vergeblich. Irgendwas stimmt dort nicht. Langsam mache ich mir Sorgen wegen Anna. Sich mal einige Zeit nicht melden, das kenn ich ja. Aber so lange war es noch nie. Nicht mal ein blödes Smiley wirft sie mir hin. Sie lässt auch nicht durchklingeln, es springt direkt die Mailbox an. Ich schicke immer wieder Stoßgebete in Richtung Wolken, dass sie nicht in ihrer Badewanne liegt… gerichtet durch einen Stromschlag. Ich habe vorsichtshalber schon das Internet durchsucht, ob eine Anna Behrens tot gefunden wurde. Zum Glück ohne Ergebnis.

Oh Jesus, es wird schon nichts sein. Bestimmt ist ihr Handy kaputt.

Da kommt mir eine Idee, das ist zumindest ein Notnagel: Ich schreib ihr schnell noch eine E-Mail. Wenn ich zurückkomme, weiß ich hoffentlich mehr. Aber genug davon. Ich muss einfach an etwas anderes denken. Es ist bestimmt etwas Harmloses dazwischen gekommen, wahrscheinlich ist/war sie wegen dem Geburtstag und dessen Vorbereitungen total im Stress.

Der Plan für den Rest des Abends kommt gelegen: Freunde treffen, also Ablenkung pur. Lars meinte gestern, dass er ein paar Leute für heute zusammentrommelt. Was mich genau erwartet, kann ich nicht sagen. „Lass dich überraschen“ ist mir normalerweise zu vage. Aber ich wollte neuer Anders spielen, also musste ich spontan wirken. Ich kenne nur Ort und Zeitpunkt: 19 Uhr 30 am Minister Grün.

Da das unsere Stammkneipe war (oder wieder beziehungsweise immer noch ist), fällt ein bisschen Vorglühen nicht aus der Reihe. Wenn ich hier noch etwas trinke, spare ich schließlich Geld. Ein paar Schluck flüssiges Brot, gehen schon klar. Lockert schließlich die Zunge und betäubt die Nerven. Langsam werde ich nämlich doch ein wenig aufgeregt.

Ein Weg-Bier nehme ich mir auch noch mit. Hmm, machen wir sicherheitshalber zwei daraus. Es ist mir egal, ob die Leute denken, dass es peinlich ist, um diese Uhrzeit alleine zu trinken. Ich bin im Urlaub.