24. September, 21 Uhr 12

Ich habe keine Ahnung, wie Lars die Geschichte verkauft hat. Jedenfalls wurde das ganze zu einer Ansammlung von Ur-Alt-Freunden statt einem engeren Kreis von Bekannten, die man mal wieder trifft. Es hatte etwas von einem Klassentreffen. Und im Laufe des Abends wurde ich ins Rampenlicht gerückt, als wäre ich das Kind einer Hollywood-Mutter bei einer Talentshow.

Ich kann nicht sagen, dass ich Leute, die ich 10 Jahre nicht gesehen habe, vermisst hätte. Meine Freunde gut, aber alte Kameraden, das hätte nun wirklich nicht sein müssen. Lars ist zu gesellig. Das war schon hart an der Grenze. Derartige Treffen sind nur zufällig und auf dem Sprung erträglich. Die Erkenntnis dass hier ein paar Haare weniger und dort ein paar Falten mehr sind, wäre genug. Einmal kurz Hallo, Wie geht’s, Tschüss sagen hätte gereicht.

Immerhin: Im Minister sieht es noch so aus wie immer, die Preise sind auch noch gut.

Neben Lars und Mike waren da Kimmy, Manuel, Immo plus Freundin, Katharina plus Freund und dann noch Leute, deren Namen in den grauesten aller Zellen gefangen waren: Andre, Peer und Nadine plus Ehemann.

Ein Teil der Kollegen wieder zu sehen war seltsam. Es hat teilweise ein paar Momente gedauert, bis ich sie überhaupt wiedererkannte. Schon erstaunlich was die Jahre mit Menschen anrichten. Was brauche ich da? Schnaps! Erstmal zwei Runden geschmissen.

Dann wurde es gesprächig. Ich habe versucht mein bestes zu geben. Aber irgendwann war ich es leid zu lügen oder auszuschmücken. Habe Fragen unspektakulär und einsilbig beantwortet, damit das Thema schnell gewechselt wird. Gibt es etwas Langweiligeres als Fragen wie: Was machst du jetzt? Familienplanung? Wo gehst du weg? Mit einem finalen „Jetzt aber genug von mir“ konnte ich meinen Vortrag beenden.

Ich gehe davon aus, dass sie auch ausschmückten, um gut dazustehen. Damit das Gras auf deren Seite grüner ist. Etwa der Hälfte der Leute war eigentlich nur wichtig: Hör mir zu, dann bestätige, wie toll und erfolgreich ich bin. Nach dem dritten Bier und vierten Kurzen war es gar nicht mehr so schlimm. Es war wie früher in der Schule als die Angeber vom Sommerurlaub erzählt haben. Und sich insgeheim gefreut haben, wenn Mitschüler das Kinderzimmer hüten mussten.

Je länger wir da miteinander redeten, desto klarer wurde mir, wie ähnlich sich vergangene Freunde und Fremde sind. Wenn die gemeinsamen Erlebnisse fehlen, bleibt nur die Erzählung. Wenn die nicht viel hergibt, bleibt nur prahlen.

Den Ablauf wird man von Treffen quer durch Deutschland treffen: Dann kamen die alten Zeiten. Erinnerst du dich noch an den, die oder das? Wie viel Spaß wir früher doch hatten. Wir müssen uns jetzt öfters treffen.

Das hat mir wieder vergegenwärtigt, dass eine gemeinsame Vergangenheit nicht reicht, um eine Zukunft zu haben. Je mehr Worte gesagt wurden, desto klarer wurde mir: Ich passe nicht mehr nach Bremen. Dieses Leben habe ich hinter mir gelassen und ich werde mich nicht mehr umdrehen. Zum Glück war ich nicht so betrunken, ihnen zu erzählen, dass ich quasi einen Raubmord begangen habe. Dass ich im Augenblick auf der Flucht bin. Da hätten sie sicher große Augen gemacht, während sie von ihren Reihenhäuschen und Aufstiegschancen im Job geschwärmt haben.

Irgendwann waren alle Gläser geleert. Ich habe vorgeschlagen, noch wegzugehen. Ein bisschen um die Häuser ziehen, schließlich war der Abend noch jung. Wie zu erwarten: Die Runde der Willigen ist geschrumpft. Übrig blieben ich, Lars, Mike, Immo, Nadine plus Freund. Lars meinte, dass er vielleicht noch jemanden einlädt. Damit ließ sich doch arbeiten.

So bin ich wieder im Hotelzimmer. Ein bisschen ruhen, bevor es stürmisch wird. Treffpunkt ist abermals das Minister Grün. Anschließend wollen wir in irgendeinen neuen Club, von dem Immo geschwärmt hat. Gesponsert wird der Abend von Druffis und Junkies aus Karlsruhe.