23. Dezember, 19 Uhr 28

Ich musste mich setzen. Stand gleich wieder auf, weil ich nicht untätig sein wollte. Das war’s dann. Nachdem ich mich mit meinem größten Küchenmesser bewaffnete, eine Stunde lang durch meine Wohnung patrouillierte, wurde mir klar, dass dies nicht die richtige Strategie war.

Ich war in eine Ecke gedrängt. Ich musste herausfinden, wer die Katze war, die mich zur scheuen Maus gemacht hat. Ich starrte auf den Zettel, suchte nach Hinweisen. Ein weisses Blatt, beschriftet mit blauem Kugelschreiber, sonst nichts. Je länger ich auf das Papier schaute, desto verlorener kam ich mir vor. Suchte etwas, das nicht da war, wollte etwas finden, das nie versteckt wurde.

Der Geist raste, ich brauchte erstmal was zur Beruhigung, zur Aufmunterung. Wie an der Schnur gezogen führte es mich wieder zu dem Blatt. Mit ein paar Metern Abstand schaute ich mir die Nachricht nochmal an. Das kann doch nicht wahr sein? Mit einem Funken Hoffnung knipste ich die Schreibtischlampe an. Ich betete, dass mir meinen Augen keinen Streich spielten.

Mit dem wahrscheinlich kleinsten Bleistift der Welt fuhr ich sachte über das Papier. Diesmal würde keine Geheimbotschaft eines Schulkameraden aus dem Nichts erscheinen, doch das Prinzip funktionierte. Ein Hoch auf diese verkrampfte Pranke einer Hand, die mich einschüchtern will: Aus den Druckstellen formten sich Striche und Zeichen, diese ergaben zu Buchstaben.

Ich wie ferngesteuert. Ich lief zu meinem Berg mit Papierkram. Alles so unordentlich, wie ich es von mir gewohnt war, also wühlte und suchte ich.

So klein, das Kärtchen, so hart die Schrift auf ihm. Als ich es umdrehte, kam mir mein Leben wie ein schlechter Scherz vor. Frohe Weihnachten Suizidkönig, das rausgerubbelte erschreibungspflich, die Telefonnummer. Alles stammt aus einer Hand. Die Karte zeigt nicht nur eine Adresse, die ich oft besuchte. Der Name ist mir allzu gut bekannt. Die Visitenkarte mit seiner Privatnummer… Dr. Johann Lautzer. Mein Arzt, ein Verräter, der Feind.

Ich hörte seine Worte wieder hallen: „Sie können mich immer anrufen. Wir sprechen uns bestimmt bald. Es gibt ja immer was zu tun.“ Jetzt verstand ich auch sein Zwinkern. Es war nicht anbiedernd, es war vielsagend.