20. Oktober, 18 Uhr 17

Da meine Wunden soweit verheilt sind, habe ich heute wieder gearbeitet. Das ist dann auch ein gutes Argument, wenn es gilt die besorgten Bürgerinnen in meinem Leben zu bändigen. Wer schon wieder arbeiten geht, kann so krank nicht sein.

Ständig von Anna gefragt zu werden, ob sie was für mich tun kann, war zu viel. Das Gewissen meiner Mutter alle paar Stunden zu befriedigen, setzte dem Elend noch einen drauf: „Sollen wir nicht doch kommen? Ich könnte dir dann die gute Gemüsesuppe machen. Die magst du doch so.“

Als ich mein Handy gestern Abend lautlos gestellt habe, kam ich mir vor wie ein Teenager, dessen Hormone in Wallung geraten, wenn er endlich die Zimmertür zuschließen kann und nicht mehr gestört wird. Endlich Ruhe.

Da hocke ich mich doch lieber früher als geplant in das Kiosk und heitere mich an den gescheiterten Persönlichkeiten auf. Ich kam zwar ein bisschen zu spät, aber in den ersten beiden Stunden ist eh nie viel los. Groß Umsatz kann nicht flöten gegangen sein. Das Geschäft beginnt eigentlich erst vormittags, wenn die Uhrzeit zweistellig wird. Da kriecht unsere normale Kundschaft aus ihren Wohnungen.

Wenn man sich schlecht fühlt, sind die Kioskkunden schön fürs Ego. Es ist einfach beruhigend für die Seele, wenn man sich besser fühlt als sein Gegenüber. Auch wenn die meisten wohl das selbe denken, wenn sie mich da im Kiosk hocken sehen. So ist das Leben halt. Es gibt eben Level, jeder braucht jemanden, der noch weiter unten steht, um sich gut zu fühlen.

Gleich werde ich mein Schmerzmittel-Rezept einlösen. Die Pillen sind zwar unnötig – mir kann eh nichts passieren. Die anderen Tabletten sind noch nicht leer, dennoch ist es eine Frage von haben und nicht haben. Je eher ich dieses Rezept einlöse, desto schneller kann ich mir ein neues holen. Man muss aus der Quelle schöpfen, so lange es fließt. Vielleicht kann ich die Teile zu einem guten Kurs verticken.

Ich habe mir einen ganz speziellen Weg zur Apotheke ausgesucht. Dabei geht es am Ort des Überfalls vorbei. Vielleicht begegne ich dort den Tätern. Es wird spannend. Die Narbe dürfte höchstens bei näherer Betrachtung sichtbar sein. Ob sie mich wieder erkennen, steht in den Sternen wie das Horoskop.

Ich weiß, es war kein Einzeltäter, der mich überfallen hat. Es waren mehrere Personen, die sich zusammengetan haben. Einen oder zwei hätte ich geschafft. Das müssen schon einige Typen gewesen sein.

Ich gegen den Rest der Welt.

Ich bin gerade so aufgedreht, dass ich am liebsten sofort hingehen würde. Mit meinem Pulver ist es eine ganz andere Atmosphäre. Mein Vorrat ist riesig – zuhause und in meinem Versteck.

Ich bin der King. Wer sonst stellt sich solchen Gefahren? Andere würden mit den Knien schlottern. Ich werde da morgen ganz cool vorbeigehen. Da können, die sich mal schön die Augen reiben, wenn sie mich wieder sehen. So als wäre nichts passiert, marschiere ich denen entgegen. Mich kriegen die nicht klein.