2. Oktober, 14 Uhr 16

Nachdem sich die Dinge in der letzten Zeit etwas überschlagen haben, ist bereits jetzt eine angenehme Ruhe und Gemütlichkeit eingekehrt. Ich bin wieder in meinem Karlsruher Leben angekommen. Anders and Anna back in love.

Ich habe mich richtig gefreut, Anna wieder zu sehen. Nachdem ich sie mit Geschenken eingedeckt habe, verbrachten wir in den vergangenen Tagen viel Zeit miteinander. Neben dieser Hyäne von Alex wirkt sie wie ein frommes Lamm. Ich fühle mich stark, wenn sie bei mir ist. Anna ist so zierlich und klein. Neben ihr sehe ich aus wie Obelix neben Asterix.

Die Grenzen des guten Geschmacks habe ich hinter mir gelassen. Sie hat mich gefragt, wie alles lief. Ohne eine Miene zu verziehen, meinte ich, dass ich ein paar Probleme beseitigen konnte. Ich habe ihr sogar das berüchtigte Tuch gegeben. Ich bin mir nicht sicher, ob sie glaubt, es gehört so oder nur höflich war. Knitterlook ist vielleicht wieder in?! Abgeriebene Haut sicher nicht, aber die sollte nicht mehr zu sehen sein. Ein Waschgang unter dem Wasserhahn hat gereicht. Das Geschenk kam aber gut an. Jedenfalls trägt sie es voller Stolz oder eben aus Anstand, wann immer wir an die Luft gehen. Ein makaberer Anblick, das Teil um ihren Hals geschlungen zu sehen, aber irgendwie gefällt es mir.

Es lebt sich besonders gut mit dem Rest von dem gefundenen Geld. Gegenüber Anna war es ein Wettgewinn. Dadurch hatte sie keinerlei moralische Bedenken, es auszugeben. Anna mit stylischen Schuhen ausgerüstet, meine Garderobe ist endgültig in diesem Jahr angekommen.

Der Gruppenchat ist noch in vollem Gange. Diese ganze Gefühlsduselei wurde ganz schnell langweilig. Aber ich war zu neugierig, um ihn zu verlassen. Stummgeschaltet ist er trotzdem. Mir ist es egal, dass Frauke heute beim Schnürsenkel binden an Lars denken musste. Lars hat auch immer seine Schnürsenkel gebunden. Schluchz, schief, flenn. Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Manche Nachrichten sind so absurd, dass sie mich zum Lachen bringen, andere Nerven nur noch. Lars ist weg und gut ist…

Mittlerweile dürfte jeder jeden mit Beileidsbekundungen überschüttet haben. Es wurde Geld für die Beerdigung gesammelt. Wieso eigentlich? Seine gut betuchte Familie kann das aus der Portokasse zahlen. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass viel zusammen gekommen ist. Aber ich habe mich vornehm zurückgehalten. So weit kommt es noch.

Mit der Trauer ist es ganz speziell. Sie ist ein Virus, sie breitet sich aus. Es werden immer mehr Mitglieder in der Trauergemeinde. Aus einem engen Kreis wurde eine versammelte Mannschaft. Zu der Mannschaft wurden Betreuter und Berater eingeladen. Mittlerweile sind wir in der Gruppe schon dreistellig.

Unter den Teilnehmern sind einige Bekannte, viele Unbekannte. Einen Unterschied macht es eigentlich nicht. Es rücken alle Schulter an Schulter, als würden sie sich schon eine Ewigkeit kennen.

Also der Chat war langweilig wie es und je. Es ist nichts passiert, ich hatte keinen Grund ihn aufzumachen. Hab es aber. Vorahnung? Mich begrüßten erstmal langweilige Zeilen einiger Neuankömmlinge. Geschluckt habe ich bei einem Teilnehmer, der seit heute morgen dabei ist. Alex.

Wie kann das sein? Wäre mein Leben nicht so verrückt, würde ich ich glauben, ich verliere den Verstand. Es ist ihre Nummer, ihre Art zu schreiben: Danke für die vielen Nachrichten! Ich weiß es zu schätzen. Ich bin stark und schaffe es! Mich kriegt nichts runter.

Es ist Alex. Das heißt: Sie hat überlebt. Die ganzen Stunden Acht und Vorsicht waren umsonst. Ich bin so was von genervt. So viel Arbeit wegen nichts und wieder nichts. Und ich hab die Alte noch immer an der Backe.

Das ist ja nicht das einzige Problem. Um die Sache mal umzukehren: jemand anderes ist wegen der über die Klippe gesprungen. Der Busfahrer? Der Straßenverkäufer? Der Typ im Treppenhaus? Mir ist es schnuppe, wer dran glauben musste wie ein Betbruder. Aber dass ich wegen so einer Verwechslung in Schwierigkeiten kommen könnte, ist nicht prickelnd so wie schaler Sekt.