19. September, 17 Uhr 41

Meine Reiseplanung nimmt langsam Formen an. Der zeitliche Rahmen steht, wobei mein Spielraum ja nicht sonderlich groß war. Das war wie beim Schiffe versenken, wenn man einen Treffer hat. Der Geburtstag ihrer Mutter war der Treffer, dass mein nächster Zug links oder rechts im Kalender sein musste, klar.

Maas reagierte auch locker, normalerweise ist das nicht gern gesehen, er will gerne Monate in die Zukunft planen. Doch: Nach dem Schock durch Spürhunde und Spezialeinheit konnte ich problemlos ein paar freie Tage rausschlagen. Ich hab im Vergleich mit der übrigen Belegschaft nämlich äußert entspannt reagiert. Maas: „Das hammse sich verdient, Anders!“ Und mir dabei mit der Popelhand auf den Oberarm geklopft. Die eine Tante, die die Spätschicht macht, hat nach der Durchsuchung prompt ne Woche wegen psychischer Erschöpfung krankgefeiert. Das passiert scheinbar, wenn man sich tapfer Bombendrohungen stellt und dem Chef den Rücken stärkt. Als ich das letzte mal spontan Urlaub angedeutet habe, bekam ich eine Lektion über Verlässlichkeit und Arbeitswillen. Es zeigt sich wieder: Schlecht sein lohnt sich. Gut sein aber auch: Zum Glück habe ich Maas nicht einfach gekillt, als er mir mal wieder auf die Nerven ging. Obwohl ich ihm mehrfach den Tod geschworen habe, erweist er sich gerade als nützlich. Er lässt seine Frau antanzen, die wohl immer die Aushilfe und Urlaubsvertretung spielen muss.

Er meinte letztens schon, dass es gut ist, wenn die Frau Maas im Kiosk zu sehen ist. Nach der Bombe setzt das ein Zeichen: „Das ganze Viertel weiß, dass man wieder bei uns einkaufen kann. Wenn sogar die Frau Maas hier sitzt, kann nichts passieren, denken sich die Leute.“ Makaber, dass er seine Frau hier Risiken aussetzt.

Am Vormittag hat sich noch was ereignet. Kurz bevor meine Schicht im Schacht war, kam ein alter Bekannter ans Kiosk. So viel vorneweg: Es war kein freudiges Wiedersehen. Er, der alte Bekannte, kam unsympathisch angeschlurft und bestellte unhöflich Zigaretten. Meine Murmeln mussten erst mal ein paar Etagen klickern, bis ich ihn zuordnen konnte. Es war der übliche Vorgang. Erst: Den kenn ich doch. Dann: Negativ aufgefallen. Schließlich: Daher.

Der Typ war von der Sorte Nichtsnutz. Jemand, der noch nie hart gearbeitet hat, noch keine Hürden gemeistert hat. Dünnlich-fett, moderne, aber billige Kleidung, Mitläuferfrisur. Es war eine der Ratten, mit denen ich letztens zusammengerasselt bin. Der Typ, der mich provoziert hat, als ich mit Anna unterwegs war. Es war der Rattenkönig, der Haupttäter oder treibende Kraft, wie man in Verbrecherkreisen so sagt.

Ich bin mir sicher, dass er mich nicht erkannte. Wie ein alter Mann es so tut, vermute ich, dass er damals zugedröhnt war. Ein Halbstarker mit einer Portion künstlichem Mut, der netten Menschen auf die Nerven geht.

Leider bin ich kein netter Mensch mehr.

Da ich hier wirklich nicht viel Spielraum habe, Leuten eins reinzudrücken, hab ich mir seinen Ausweis geben lassen und extra lange studiert. Von Ausweis auf Fratze geschaut, als wäre er bei der Einreise am Flughafen.

Gerade mal 19, einer der berüchtigten Familiennamen. Sein Passbild sieht aus wie ein Fahndungsfoto. Seinen Eltern müsste man vor die Füße spucken, dass sie so einen Bengel erzogen haben. Das könnte ich fast vom Fenster aus. Der Kerl wohnt nur ein paar Meter von mir weg. Beim Bezahlen war der Geldbeutel voll, und damit meine ich vollgestopft, mit Geld. Alles kleine Scheine, nur die roten und grünen. Der muss Dreck am Stecken haben.

Ich gebe es zu, ich hab da mit seinem Ausweis in der Hand schon ein wenig taggeträumt. Das war aber kein Grund, frech zu werden. Irgendwann meinte dieser Lump dann, dass es langt. Ein 10-Euro-Schein kam angeflogen. Ich dachte mir nur, ich lang dir gleich eine. Ich kenn jetzt deine Adresse, Brudi. Wortlos, emotionslos gab ich ihm die Schachtel.