17. September, 17 Uhr 29

Ich glaube, dass Ulli ins Schwarze getroffen hat. Zumindest mit Anna. Ich öffne mich ihr nicht und sie scheint es zu merken. Sie will zu schnell zu viel Beziehung. Ich mein, ich muss doch auch Rücksicht auf mich nehmen. Ich habe mich neuentdeckt. Ich bin ein unsterblicher Dämon, da kann ich mich doch nicht jeden Abend mit ihr treffen, um zu kochen. Mir steht die Welt offen. Vielleicht kann ich ein Auftragskiller werden oder ein Superheld. Da kann ich doch nicht mit jedes Wochenende mit ihrer Familie Kaffee nippen und Kuchen picken und unter der Woche mit ihren Freundinnen Cocktails schlürfen und Pizza kauen. Gestern lag sie mir wieder in den Ohren, dass ich ihren Clan kennenlernen soll. Ich war in einer ganz anderen Dimension. Schon morgens bereitete mir meine Macht Fingerkribbeln. Ich wäre am liebsten durch die Stadt spaziert, einen Verbrecher geschnappt und beseitigt. Oder irgendjemanden, der mir blöd kommt. Zu irgendwas muss die Fähigkeit ja auch da sein.

Anna, Anna immer Anna. Dieses Tagebuch wird zum frustrierten Liebesroman. Ich muss mich der Frage stellen, ob ich eine feste Beziehung möchte. Zeit gemeinsam verbringen ist schön und gut. Aber wenn ich nun schon anfangen muss, ihr Rechenschaft abzulegen, damit ich meine Ruhe habe…

Ich habe keine Lust mir ständig Gründe aus den Fingern zu saugen, um nicht nach ihrer Pfeife zu tanzen. Dieses Besitz ergreifen ging bei ihr fließend. Wenn ich hier sitze und die Sache nüchtern betrachte, bin ich echt froh, dass ich sie noch nicht gefühlstrunken gefragt habe, ob wir Schlüssel tauschen sollen.

Ich vermute mal, sie würde JA! sagen und mir um den Hals fallen, ein paar Sachen aus ihrem Badezimmer zusammensuchen und sofort bei mir umdekorieren. Damit wäre der Schwebezustand, in den ich mich flüchten kann, leider aufgehoben. Sie wirkt nicht so wie der Typ, der Halbbeziehungen mitmacht. Ich bin es ja eigentlich auch nicht. Oder war es nicht. Aber ich muss erstmal mit mir selbst klar kommen.

Im Augenblick ist die Sache noch angenehm. Ich habe gewisse Freiheiten, kann an bestimmten Abenden der Woche in ein warmes Nest kriechen. Fair wäre es mit offenen Karten zu spielen, aber wer tut das schon. Ich werde aus Eigennutz an dem Ist-Zustand vorerst nichts ändern.

Jetzt steht auch noch der Geburtstag der Mutter an. Also werde ich einfach den Rat von Ulli mit meiner Familie und Anna rühren und schütteln: Ich fahre zurück nach Bremen. Das ist die Flucht nach vorne.

Wenn ich das vernünftig erkläre, kann ich vielleicht ein paar Pluspunkte rausholen. Ich habe meine Freunde und Familie schon so lange nicht gesehen. Ich vermisse sie. Vielleicht bin ich deshalb zurzeit so komisch zu dir. Mein Onkel hat auch Geburtstag, tut mir leid, dass es mit dem deiner Mutter nicht klappt.

Oh Gott, ich bin so verlogen.