16. Oktober, 17 Uhr 21

Wo fangen wir an…

Am besten vorne, oder?

Gestern morgen war ich richtig durch den Wind. Ich konnte nicht einschlafen. Die letzte Uhrzeit, an die ich mich erinnern kann, ist kurz nach 3 Uhr. Ein paar Stunden später klingelte auch schon der Wecker.

Die Kopfschmerzen bekam ich selbst mit dem zweiten Kaffee nicht in den Griff. So wurde der dritte mit Schuss getrunken. Die Migräne war daraufhin weg, aber trotzdem konnte ich mich einfach nicht richtig konzentrieren. Alles, was am Vormittag passierte, lief verschommen ab. Das Erlebte war eine langgezogene Nebensache wie die Dinge, die auf Bildern nicht im Fokus liegen.

Nach der Arbeit legte ich mich nochmal schlafen. Die Ruhe war mehr schlecht als recht. Immerhin verging etwas Zeit. Der Abend war aber trotzdem noch in weiter Ferne. Ein Profi bin ich sicher nicht, was diese Halunken-Geschichten angeht. Hätte ich einen Euro für jedes mal, als ich bin umentschieden und wieder zurück habe, müsste ich mir keine Gedanken mehr über Geld machen. Ich bin offensichtlich sehr entscheidungsfreudig, so oft wie ich diese im Laufe des Tages getroffen habe. Es ist vollkommen hirnrissig, da ein paar Junkie-Dealer abzuziehen gegen Das wird richtig gut, das klappt.

Das Teufelchen siegte, irgendwann habe ich dem Engelchen den Mund verboten.

Der Dämon in mir wird stärker. Er frisst alle Befürchtungen. Er versicherte mir: Sollte etwas schief gehen, werde ich sie alle töten.

Der Überfall: Es war etwa 21 Uhr als ich begann mich vorzubereiten. 21 Uhr 15 war es, als ich einen großen Kurzen gekippt habe. Das Zittern wollte nicht aufhören. Ich wurde unsicher: Noch einen kannst du nicht kippen,, sonst bist zu betrunken, wenn es darauf ankommt.

Nun schüttelten sich all meine Gliedmaßen im Takt. Ich saß da, schaute mich geistesabwesend in der Wohnung um. Dachte, dass ich mein Vorhaben abblasen muss wie Drachensteigen bei Gewitter. Mein Blick fiel auf die Spüle. In meinem Kopf hallte: Du bist der Suizidkönig, du findest eine Lösung. Ich blinzelte, musterte das Schränkchen unter der Spüle. Wenn das flüssige Selbstvertrauen nicht wirkt, tut es vielleicht das in Pulverform. Also habe ich mir ein einsames Päckchen aus der Schublade geholt.

Ich habe das kleine Tütchen Speed dreimal vor meinen Augen geschüttelt wie ein Polaroid. Zu bestreiten, dass ich schon länger neugierig war: Lüge. Jetzt hatte ich einen Grund, es zu probieren. Was ich las, klang gut: mehr Energie, mehr Mut, bessere Konzentration. Nach meiner kurzen Recherche, habe ich eine Line gelegt. Und gezogen…

Uh, Baby, es hat gewirkt.

Ich war fokussiert, hatte endlich den Kampf, den ich den ganzen Tag vermisste. Das Zittern hat sich verlagert. Nun pumpte mein Herz in einem wilden Rhythmus. Mein Körper war überschüttet von absoluter Kraft. Ich wollte, dass es jetzt losging.

Ich habe die Uniform der Unterwelt angezogen: schwarz von Kopf bis Fuß. Danach meine Ausrüstung eingepackt: Maske, Schlagring, Messer, leerer Rucksack. Ich wurde hibbelig, wollte endlich raus.

Als mir die kühle Luft entgegenschlug, fuhr ich einen Film. Den Weg Richtung Kronenplatz legte ich ohne Mühe zurück. Ich kann nicht sagen, warum ich den abgelegenen Weg einschlug. Die Umleitung durch ein halbes Waldgebiet am Adenauer-Ring hat sich gelohnt: Ich traf auf einerlei Fußgänger. war geschützt vor Scheinwerfern der Autos. Niemand sah mich, die Route war richtig.

Am Kronenplatz: Dort angekommen, zog ich mich in die Ecke zurück, die mir bei meinen Erkunden besonders günstig erschien. Dort war es dunkel. Sogar das künstliche Licht der Laternen mied dieses Versteck. Da ich mich ruhig verhielt, war ich unsichtbar. Der Platz war schummrig, außer dem üblichen Klientel war niemand mehr da. Ein paar Fußgänger kamen aus oder gingen zu den Straßenbahnen, die brav hielten. Wie lange ich warten musste, bis die dort Kassensturz gemacht haben, kann ich nicht sagen. Mir kam es lange vor, mangels Uhr kann ich das jedoch nicht mit Sicherheit sagen.

Endlich. Endlich. Endlich! Es war so weit. Der Ablauf war wieder der selbe. Es wurden Tüten getauscht. Dann hielten sie noch einen Plausch. Ich wurde wieder aufgeregt, die Freude über die Umstände taten das Übrige.

Der Bote war ein kleinerer Typ – Erleichterung. Den würde ich locker umboxen können. Er war schmächtig, etwa 1,65 Meter. Er hatte sicher Untergewicht. Seine roten Sportschuhe würde ich wiedererkennen, falls ich ihn kurz aus den Augen verliere.

Mir lief die Nase. Das musste ich stoppen. Ich führte Daumen und Zeigefinger ans Gesicht… da war wieder dieses verdammte Zittern. Ich hatte keine andere Wahl, erklärte die Stimme. Ich schüttete das restliche Speed auf meinen Handrücken, zog so viel von dem Pulver ein, wie ich erwischte.

Die Verfolgung: Jetzt ging es los. Ich ließ dem Typen gute 20 Meter Vorsprung. Ich war überzeugt, ich würde seine Route zumindest grob einschätzen können. Die Stimme im Kopf schrie. Das Opfer ist fällig! Hol ihn dir! Mach ihn platt! Aufgeputscht bis zum Platzen, wach und mit einer Ladung Aggressivität lief ich wie ferngesteuert.

Ich hatte ihn im Visier. Ich folgte nicht seiner Fährte, sondern hielt mich zurück. Ging mal auf der anderen Straßenseite, mal über eine Parallelstraße. Ich hielt Sicherheitsabstand. Zuhause hatte ich es mir zurechtgelegt, dass ich umdrehen, bei Gefahr flüchten konnte und einen ausreichenden Vorsprung hatte. Im Rausch war diese Option erloschen. Ich hielt Abstand, um ihn überraschen zu können. Er ging mittlerweile zügig, hat die belebte Gegend rund um die Brunnenstraße schnell hinter sich gelassen. Jetzt wurde es abgelegener. Jetzt wurde es dunkel.

Ich war im Film. Es hat sich gelohnt, dass ich noch einkaufen war. Im Gehen bereitete ich mein Werkzeug vor. Habe die Maske übergezogen, zog den Schlagring an die rechte Hand. Das Messer hielt ich links. Der Schlagring saß so fest, meine Hand war derart verkrampft, dass ich wohl Glück hatte, dass ich mir nicht die Finger brach.

Ich ging schneller. Näherte mich ihm immer mehr. Jeder Auftritt kam mir laut vor, meine Schritte waren ein Bombenhagel. Der Rückstand verkürzte sich. Ich war nur noch eine Handvoll Längen zurück.

Er blieb abrupt stehen. Sein Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt, war richtig. Auch ich hielt inne. Er drehte sich um, sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. Wir standen uns gegenüber. Keiner wollte einen Zug machen. Er zog die Lippe hoch. Er fletschte die Zähne wie ein Wolf. Durch die vielen Lücken im Mund sah er bedrohlicher aus, als mir lieb war.

Jetzt!

Ich überbrückte die letzte Distanz, sprang hoch und holte aus. Superman-Schlag. Es war eine fließende Bewegung. Die Technik schien mir perfekt. Welch Ironie des Schicksals: So wie ich es bei den vielen Videos zur Selbstverteidigung gesehen habe, streckte ich mein Opfer nieder.

Es war ein beherzter Schlag, ein Treffer hinters Ohr. Der Schlagring hielt, was er versprochen hat. Sein Körper fiel zusammen wie ein gesprengtes Haus, das implodiert. Ein Volltreffer. Die Stromversorgung wurde unterbrochen, wie wenn man beim Notebook zu lange den Ein-Schalter drückt.

Er sackte zusammen.

Die Stimme forderte mich auf, ihm noch eine zu verpassen. Nur um sicher zu gehen.

Ich gab nicht nach, weigerte mich in dem Moment zum Mörder zu werden. Ich zog meinen Rucksack ab. Griff mir die Tüte mit dem Geld. Noch nie war ein Einkauf beim Discounter schöner. Die Tasche fühlte sich voll an. Aber ich wollte mehr. Gierig durchsuchte ich seine Hosentaschen: Bingo. Dann noch seine Socken abgetastet und in den Schuhe nachgeschaut: Niete.

Das Speed brachte die richtige Mischung an Hormonen. Ich war hellwach und paranoid. Vorsichtshalber packte ich noch sein Handy in den Rucksack, damit er keine Verstärkung rufen konnte, wenn er wieder zu sich kommt.

Was für ein Rausch! Ich zog die Maske ab, stopfte sie in meinen linken Socken. Messer und Schlagring behielt ich im Griff – nur für den Fall. Zufrieden mit meiner Beute, machte ich mich auf den Heimweg. Ich ermahnte mich: Bloß nicht rennen, du musst ganz ruhig wirken, damit du nicht auffällig bist.