14. Oktober, 23 Uhr 52

Heute habe ich mir den Ablauf nochmal angeschaut. Es ist schon erstaunlich, wie diese kleine Schattenwelt im Tumult der Geschäftigkeit untergeht. Wenn man sich die Sache nicht genau anschaut, könnte man meinen, dass die Typen da einfach nur rumgammeln. Ein bisschen auf dem Platz lungern, sich die vorbeilaufenden Damen (oder bei entsprechendem Geschmack halt die Herren) anschauen. Klar: Nicht alle haben eine Aufgabe, die mit dem Verkauf von Drogen zu tun hat. Aber zumindest eine Handvoll von ihnen ist verwickelt. Bei dem Rest wird es sich wohl um die üblichen Taugenichtse handeln.

Diesmal begann ich meine Erkundungstour später. Und wie ich vermutete: Je dunkler der Abend, desto mehr wird verkauft. Das kommt mir sehr gelegen, ich bin hellauf begeistert. Am Tag wäre mir die Geschichte wegen vieler Aspekte zu heikel. Da es auch die meisten Kunden so sehen, ist nachts eine größere Summe im Umlauf. Sehr gut, so kann im Schutz der Dunkelheit operieren.

Die einzelnen Arbeitsschritte der Bande kenne ich nun grob.

Ich hatte nach einer Stunde genug gesehen. Nachdem ich mir meiner Sache sicher war, ging es auch zu eben dieser: Ich bin einem von ihnen gefolgt. Die Auswahl habe ich schnell getroffen. Ich entschied mich für den, der die Einkaufstüte abtransportierte.

Es war keine Verfolgungsjagd wie im Actionfilm. Ich bin ihm ganz gemütlich hinterher geschlendert wie Geschwister, die gemeinsam Weihnachtsgeschenke kaufen. Da wir mitten in der Stadt sind, konnte ich ihm unauffällig folgen. Er hatte es weder eilig noch war er vorsichtig oder auf der Hut. Für ihn war es bestimmt ein Botengang wie viele davor. Für mich war es aufregend wie ein Vorstellungsgespräch. Auch in der Gewissheit, dass heute nichts passieren würde, war es ein einziger Nervenkitzel. Ich hatte blitzschnell eine rote Birne. Lief, wenn mich die Panik überkam, mal 10, mal 15 Meter im Abstand. Der Typ merkte nichts. Ich bin überzeugt: Er fühlte sich so sicher, weil er diesen Weg wahrscheinlich immer geht – es war Alltag.

Sein Heimweg führte durch viele abgelegene Gassen. Ich hatte Glück. Er lief grob in meine Richtung, so dass mein eventueller Fluchtweg kurz ist. Ich wurde immer zuversichtlicher: Dort kenne ich genügende Winkel, in denen ich zuschlagen könnte. Wo sein Ziel ist, weiß ich nicht. Nachdem ich etwa die Höhe meiner Wohnung erreichte, bog ich links ab, während er geradeaus ging.

Zuhause dauerte es, bis ich wieder auf Normaltemperatur war.

Jetzt rede ich mir schon ein paar Minuten ein: Das wird funktionieren, wenn ich ihn abziehe.

Trotz aller Begeisterung und dem Entschluss, dass ich es durchziehe, will ich mir alle Optionen offen halten. Nach dem Prinzip alles kann, nichts muss wie im Swingerclub. Sollte ein gefährlicher Typ, so ein richtig breites Gerät den Geldtransport machen, breche ich das Ganze ab. Dann gehe ich einfach heim.

Ich will die Kohle, klar. Lieber jetzt als gleich, aber man muss immer reagieren. Ich brauche eine Finanzspritze so wie ein Junkie den Schuss.

Schon der Gedanke an die Geschichte sorgt für einen roten Kopf. Mein Herz schlägt überdreht in meiner Brust. Ich bin nervös, ich zittere, aber es hilft nichts.