11. Dezember, 17 Uhr 12

Ich hatte bereits drei Lines intus, als Johnny mich abgeholt hat.

Da ich immer mit dem Schlimmsten rechne, war ich richtig froh, dass er meine Anweisungen befolgt hatte. Nüchtern und entsprechend nervös saß er alleine im Auto. Auf dem Beifahrersitz lag das, was er besorgen sollte.

Sobald wir in deren Hoheitsgebiet waren, klebte der Sicherheitsdienst wieder an unserer Stoßstange. In dem Moment, in dem wir aussteigen wollten, hat uns das schwarze Auto überholt. Als wären die vom Secret Service und einer von uns der Präsident der Vereinigten Staaten. Der Beifahrer ist aus dem rollenden Fahrzeug gesprungen, gesprintet und hat meine Tür aufgerissen.

Er wollte wissen, wer wir sind. Ich antwortete nicht. Stattdessen griff ich langsam auf die Rückbank, versuchte mich nicht zu drehen, sondern den Blickkontakt aufrecht zu halten. Ich tastete und tastete: Außer Sitzpolster nur gähnende Leere. Johnny laß die Situation richtig und holte das Mitbringsel vorsichtig nach vorne. Damit deutete er in die Richtung des Mitarbeiters. Der hob die Hand. Nach ein paar Wortwechseln zwischen ihm und mir funkte er seinen Kollegen endlich an. Pause, Nuscheln, Nicken.

Meine Kontakte haben sich bezahlt gemacht. Der Gruß, den Frau Schweinsteiner ausrichten sollte, kam an. Es ist alles so unauffällig und logisch: Schließlich bin ich ein alter Zimmernachbar vom Herren Schweinsteiner. Letztens habe ich zufällig die Ehefrau getroffen, da will ich die Familie jetzt besuchen – auf die guten, alten Zeiten. Ich wollte mich nur erkundigen, wie es ihm so ergangen ist. Im Übrigen hatte ich sogar einen Blumenstrauß dabei, das musste doch stimmen. Johnny wedelte ihn immer noch. Mit einem erhobenem Daumen entfernte sich der Sicherheitsmitarbeiter. Alles klar, ich konnte mit meiner Begründung vorbeigehen. Wie geschmiert: Bis hierhin hatte ich alles richtig gemacht.

Johnny sagte ich, dass er im Auto warten soll. Je weniger Ohrenpaare mithörten, je weniger jeder Komplize oder Betroffene weiß, desto besser für mich. Wenig überraschend: Der Sicherheitsdienst ließ es sich nicht nehmen, Johnny beim Warten Gesellschaft zu leisten. Dass sie nett geplaudert haben, wage ich jedoch zu bezweifeln.

Ich bin ausgestiegen. Mein Herz hämmerte wie mit Bohrschlag. Während ich so tat, als würde ich mir die Schuhe binden zog ich eine kleine Portion Speed. Ich hoffte, dass ich meine Nervosität dadurch halbwegs im Zaum halten könnte. Die Meter von der Einfahrt bis zur Haustüre kamen mir vor wie eine Pilgerreise. Ich betete, dass die Villa mein Mekka sein würde. Die Ruhe vor dem Sturm ist furchteinflößend. Es sind die Sekunden, in denen man ignorieren muss, was jetzt alles schief gehen könnte.

Ich habe geklingelt. Warten, lauschen, nichts. Ich sah mich nach Überwachungskameras um, fand aber keine. Klingeln, warten, Stille. Mehrmals musste ich mein Verlangen, einfach umzudrehen, bändigen. Aber es tat sich einfach nichts. Mit der Genugtuung es versucht zu haben, vergebens, aber es versucht zu haben, wollte ich aufgeben. Dann ertönte plötzlich Gebell. Die Tür öffnete sich. Herr Schweinsteiner stand vor mir: Polohemd, Fönfrisur, Chinohose, Pantoffeln. Ich merkte, dass er nicht registrierte, dass ich es war. Es würde wohl keine Willkommensfeier steigen…

Also habe ich ihm den Blumenstrauß unter die Nase gehalten. Ich mit zu lauter Stimme: „Herr Schweinsteiner, ich bin es. Der Anders aus dem Krankenhaus. Die Blumen sind für ihre Frau. Entschuldigen sie den überraschenden Besuch, aber ich wollte mich erkundigen, wie es ihnen so ergangen ist.“

Es hätte eine Glühbirne über seinem Kopf aufleuchten können und es wäre kaum offensichtlicher gewesen, dass die Rädchen jetzt rollten. Aus einem perplexen Gesichtsausdruck wurde eine Erleuchtung. Schweinsteiner: „Das ist ja eine Überraschung. Ja, mir geht es soweit wieder gut. Und ihnen? Ich hätte sie nicht wiedererkannt. Verändert haben sie sich. Wollen sie reinkommen? Möchten sie etwas trinken?“

Kurz bevor ich die Villa betrat, vergewisserte ich mich, dass der Typ vom Sicherheitsdienst da stand, wo er sollte. Elegant: Schweinsteiner hat mich ins Haus gelassen, nur um mich direkt wieder herauszuführen. So wirkt man höflich, ist aber distanziert. Ob er mir misstraute und das eine Vorsichtsmaßnahme war oder ob es ihm dort schlicht gefällt, kann ich nicht sagen. So saß ich nun im Wintergarten.

Mir sollte es recht sein. Je weniger Augen- und besonders Ohrenpaare desto besser. Smalltalk. Um ihm erstmal die Angst zu nehmen, erklärte ich ihm, dass ich zufällig seine Frau getroffen, mich dann gefragt habe, wie es denn dem Herrn Schweinsteiner so geht. Dann noch mehr Smalltalk. Wir haben über verschiedene Krankheiten geredet. Danach darüber, wann er entlassen wurde. Über das Krankenhauspersonal.Wir wurden unterbrochen: Frau Schweinsteiner steckte ihren Kopf kurz herein. In einer eingespielten Höflichkeit, die sie sich bestimmt auf unzähligen Cocktailpartys angeeignet hat, hat sie sich erkundigt, ob und was ich trinken möchte. Da sie es mir angeboten hat, habe ich natürlich das Bier gewählt. Der Schweinsteiner schloss sich überraschenderweise an. Möglicherweise ahnte er, dass er gleich etwas zur Beruhigung brauchen würde.

Nach dem ersten Schluck atmete ich tief ein. Wir waren wieder allein. Für mich das Zeichen: jetzt oder nie. Ich legte los: „Ich mache keinen Spaß. Ich verlange daher ihren Respekt und Aufmerksamkeit. Herr Schweinsteiner, ich habe schlechte Nachrichten. Ihrem Sicherheitsmitarbeiter draußen vor der Tür könnte heute Nacht ein Unglück passieren. Machen Sie sich keine Sorgen, wenn sie mir genau zuhören, wird es der einzige Todesfall in ihrem Umfeld bleiben. Wenn sie meine Ratschläge befolgen wird weder ihrem Sicherheitsdienst und schon gar nicht ihrer Familie etwas Ähnliches zustoßen. Verstehen sie, was ich ihnen sagen möchte?“

Schweinsteiner nickte. Plötzlich war sein Gesicht zerknittert. Diese Falten ließen ihn binnen Sekunden um ein Jahrzehnt altern. Die Augen wirkten traurig und doch wachsam. Er atmete tief ein, mit einem Seufzen aus. Er trank einen kräftigen Schluck Bier, stellte das Glas anschließend ab. Mit der rechten Hand machte er eine eindeutige Bewegung: Ich sollte fortfahren.

Ich musste mich kurz sammeln, mich an die Routine erinnern. Schließlich hatte ich meine Rede mehrmals vor dem Spiegel geübt, so als müsste ich ein Referat halten: „Es ist keine leere Drohung, sondern Ernst. Der erste Ratschlag, den sie befolgen müssen: Alles was wir ausmachen, bleibt zwischen uns. Uns beiden, ohne Polizei, ohne Familie, ohne Anwalt. Ratschlag zwei: Erkundigen sie sich morgen nach dem Mann draußen. Seien sie nicht neugierig, aber erkundigen sie sich. Wenn sie mir dann glauben, befolgen sie Ratschlag drei. Ich würde mich sehr über 50.000 Euro in bar freuen. Da sie mit der Beschaffung nur bis zu diesem Mittwoch Zeit haben, bin ich nicht wählerisch. Das Geld kann in Scheinen ihrer Wahl sein.“

Jetzt war er mit dem Trinken an der Reihe. Ich war zu nervös, um ihn anzuschauen. Meine rechte Hand zitterte, ich musste mein Glas mit beiden Händen festhalten, während ich es leerte. Ich hatte alles gesagt und wollte weg. Noch eine letzte Sache: Ich verlangte, dass er mich zur Haustür bringt.

Als ich im Türrahmen stand, hatte ich meine Nerven weitesgehend im Griff, wiederholte die Bedingungen. Ich zeigte auf den Sicherheitsmann, erwähnte Frau Schweinsteiner in einem Nebensatz. Bei dieser Andeutung schien er aus seiner Trance zu erwachen. Sein blasses Gesicht bekam wieder Farbe. Der erste Schock schien verarbeitet, Wut schien hochzukochen.

Er schob mich nach vorne, schlug die Tür zu.

Ich habe es getan. Die Dämme brachen, meine Knie wurden weich, die Oberschenkel zitterten. Das war kein guter Zeitpunkt, denn der krönende Abschluss fehlte noch. Ich mit gesenktem Blick: „Hallo, Entschuldigung. Ich soll ihnen von Herrn Schweinsteiner noch etwas ausrichten.“ Dann ein misstrauischer Blick, ein frecher Kommentar.

Ich schlug die Autotür zu, breitete mich auf der Rückbank aus. Ich hätte Ruhe brauchen können, aber Johnny war so aufgedreht: „Und, Alter? Und, Mann? Wie lief es? Was hast du dort gemacht?“ Ich schrie ihn an: „Halt die Fresse! Fass mich jetzt bloß nicht an und fahr mich sofort heim.“ Er war eingeschüchtert und fuhr los. Als ich bereits ausgestiegen war, schrie er in meine Richtung: „Ich ruf dich später an!“

Meine Zitterpartie ist vorüber. Mein Körper ist so betäubt, dass ich beinahe gelähmt bin. Mein Gedanken kreisen über dem Elend wie Geier: War ich überzeugend genug? Hat Herr Schweinsteiner die Polizei angerufen? Hat er seiner Gemahlin von der Erpressung erzählt? Hat sie die Polizei angerufen? Tritt mir gleich jemand die Tür ein?

Mir bleibt nicht anderes übrig: Ich muss meinen Trumpf spielen. Die Möglichkeit aufzugeben, habe ich nach meinem Auftritt im Hause Schweinsteiner nicht mehr.