Heute, Kinder, wird’s was gähnen.
Die liebe Sonne strahlte wie ein Verliebter vor dem dritten Date. Guido und Claudette teilten sich ein Plätzchen im Schatten. Mittagszeit bedeutete Mittagspause. Claudette schaute verträumt zu den zwitschernden Vögeln, die durch die Baumkronen tanzten. Guido aß seine Stulle und blätterte in einer Zeitung. Guido hatte Schwierigkeiten, sich auf die Nachrichten zu konzentrieren. Wie üblich löcherte Claudette ihn mit Fragen. Claudette: Kannst du gut lesen?
Guido: Nö, nur Bilderbücher kann ich gut lesen.
Guido schmunzelte. Er amüsierte sich sichtlich über sein Späßchen.
Claudette verstand den Witz nicht. Es folgte die nächste Frage. Claudette: Bringst du mir Lesen bei?
Guido: Irgendwann mal.
Claudette hielt inne. Dann: Ist jetzt irgendwann?
Guido: Das dauert noch.
Claudette: Was liest du gerade? Lies mir mal vor.
Claudette war zwar niedlich, wenn sie um Vorlesen bettelte, doch Guido war einfach nicht in Stimmung. In der Hoffnung, dass Claudette mal wieder im nächsten Moment vergaß, was sie in diesem dachte, reagierte Guido nicht.
Claudette: Ich bin auch ganz leise.
Leise. Das war ein Reizwort, bei dem Guido sofort reagierte.
Guido: Deal.
Guido fasste die 16. Seite des Karlsruher Morgen kurz und knapp zusammen: Neuer Trend, dieses Jahr muss man blaue Hüte tragen.
Claudette hauchte eine Frage, ganz leise, mit gesenkter Stimme: Aber mein Hut ist ein Kopftuch und das ist gar nicht blau. Darf ich das nie wieder anziehen?
Guido musste grinsen, als er realisierte, dass die Kleine ihn wieder ausgetrickst hatte. Er war dennoch nicht auf lange Erklärungen aus, von Mode hielt er sowieso nichts. Guido: Das hast du wirklich leise gesagt. Gut gemacht, Claudi. Nee, das macht nichts, auf Modetrends reagieren nur unsichere Menschen.
Er ertappte sich dabei, Claudette wieder eine Chance für dumme Kommentare zu lassen. Guido: Und Füchse auch.
Claudette war erleichtert, sie mochte ihr Kopftuch. Guido blätterte auf Seite 18. Oben thronte dick und fett, sogar unterstrichen: Lokales. Der Aufmacher war der Beitrag der Schwester von Zwillingsbruder. Alarmstufe Hellrot, Wortgefecht im Anmarsch. Guido wollte den ganzseitigen Artikel galant überblättern, als Claudette einen Blick auf das Foto warf. War ja klar, dass Claudette auf das Bild mit der tierischen Beteiligung ansprang. Abgebildet waren die Wölfe vor einer Wand, von der die Tapete abgekratzt war. Die Neugier hatte sie gepackt. Claudette sprach mindestens mittelleise: Was steht da?
Guido war nicht gut im Improvisieren. Schlagfertig war er nur, wenn es schon zu spät war. Erst auf dem Heimweg fielen ihm gute Erwiderungen ein. Er trank einen Schluck Milchkaffee aus seinem Thermobecher, knabberte an seiner Butterbrezel.
All das Zeitschinden war vergebens. Leere im Kopf.
Claudette erhöhte den Druck, legte ihre Tatze auf die Zeitung.
Da er keine Lügengeschichte parat hatte, musste die Wahrheit herhalten. Guido stotterte: Kosten für Füchse und Wölfe steigen weiter. Regierung erwartet mehr Ausgaben, potenzielle Finanzierungsmodelle auf dem Prüfstand.
Guido überflog den Artikel. Mehr als die Überschriften und Einleitungen las er selten. Es dauerte daher ein bisschen, bis er die kleine Schrift entziffert und gedeutet hatte. Der Artikel endete theatralisch. Die Tiere hätten wichtige Kunststücke zerstört. Die Kosten seien das eine, die ausgelöschte Geschichte das andere. Klonhalbschwester, wenn wir sie so nennen wollen, hatte dick aufgetragen. Guido ließ die skandalösen Mutmaßungen weg und beschränkte sich auf eine knappe Zusammenfassung. So bekam Claudette erklärt, dass möglicherweise Leute spenden sollten, vielleicht würde auch eine Steuererhöhung oder Sonderabgabe fällig werden.
Nun denkt man sich, dass die paar Tiere nicht teuer sein können. Viel kann deren Verpflegung ja nicht kosten. Teuer waren sie eigentlich auch gar nicht. Jedenfalls hätten sie es nicht sein müssen. Hätte, wäre, könnte – das waren für einen wie Schminkfit Chancen, die nicht vertan wurden. Der Schlossherr nutzte trotz der Unterredung, die Grundlage dieses Artikels war, weiterhin jede noch so kleine Möglichkeit, um Geld aus der Anwesenheit der Tiere zu pressen. Schminkfit hatte beispielsweise die Miete erhöht. Er schraubte sein Gehalt nach oben, da sein Verwaltungsaufwand mittlerweile sooo viel höher war. Sogar Arbeiten am Schloss wurden fürstlich entlohnt. Die Unternehmen, die unterm Tisch am meisten Schmiergeld fließen ließen, bekamen die Aufträge. Das Geld der Anderen gibt sich bekanntlich leicht aus.
Der Karlsruher Morgen, der sonst nicht für journalistische Sorgfalt bekannt war, platzierte links neben dem Artikel eine Tabelle mit den größten Kostentreibern: Reparaturen, Restaurierungen und sonstige Flickschusterei. Da wurde das Eine zum Anderen addiert, Jenes summierte sich zu Diesem. Guido zog Bilanz: Unterm Strich ist das schon ein Batzen, der wegen euch anfällt.
Claudette war empört und protestierte: Aber das machen doch alles die Wölfe kaputt. Wir wohnen im Keller und tun gar nichts anstellen.
Mit ihrem Einwand traf sie ins Schwarze, Differenzierung ist immer das Salz in der Suppe. Leider wurde auch in den folgenden Beiträgen nicht erwähnt, dass die Wölfe teuer waren, während die Füchse genügsam lebten. Obwohl sich die beiden Rudel spinnefeind waren, wurden sie in einen Topf geworfen. Da hatten die Wölfe den Füchsen vielleicht ein Süppchen eingebrockt!
Nach dem Vorlesen stand die von Guido gefürchtete Diskussion im Raum – oder in diesem Fall unter dem Baum. Claudette schnaufte wie Darth Vader. Das war das Zeichen, dass sie gleich zu einer ihrer patentierten Tiraden ansetzen würde. Guido versuchte die Auseinandersetzung im Keim zu ersticken. Er meinte, dass die Abgaben und Steuern in Karlsruhe schon so horrend hoch waren, den Menschen würde es gar nicht auffallen, wenn sie von ihrem hart erarbeiteten Geld noch mehr abgeben müssten.
Guido schaute auf die Uhr. Er war erleichtert, dass er jetzt einen Termin hatte.
***
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