9. Oktober, 19 Uhr 37

Heute kam kurz vor Ende der Schicht kam eine jüngere Version von Maas ans Kiosk. Er schaute verdächtig, tat übertrieben beiläufig. Da war mir klar, dass hier etwas nicht stimmt. Der führt doch was im Schilde. Schnell mal drei Kaugummi reingeworfen, bevor er den Mund aufmachen konnte. Sicher ist sicher.

Ich war auf alles vorbereitet. Haben sich die Kundenbeschwerden gehäuft? Ist mein schlechter Service bis zu Maas durchgedrungen? Mir kam es doch so vor, als ob der Umsatz in den letzten Tagen sogar gestiegen ist. Ich musste die Leute ja ablenken, also bot ich ihnen diverse Sachen an. Hatte ich das Stein im Brett nach der Bomben-Geschichte schon wieder verloren?

Mein Kollege hat, kurz nach dem ich angefangen habe, schon Andeutungen gemacht. Dass Maas gerne mal heimlich kontrolliert oder irgendsowas. Ich wollte mich dann einfach überraschen lassen. Natürlich hatte ich keine Lust, bei diesem schlechten Witz mitzuspielen, dass das nicht falsch rüberkommt. Und dann noch kurz vor meinem Feierabend. Das war schon etwas dreist.

Trotzdem sagte ich mir: Der kriegt einen Service wie beim Edelfrisör, eine Show, die sich gewaschen hat.

Ich mit mintfrischem Atem: „Guten Tag, schön dass sie da sind. Wie kann ich ihnen behilflich sein?“

Er: „Was haben sie denn im Angebot.“

Dann sollte es wohl diese Schiene werden. Meinetwegen. Also hab ich das Sortiment runtergebetet. Den ganzen Plunder schön geredet. Ich bin heilfroh, dass ich Anna angelogen habe. Ohne örtliche Betäubung wäre dieser Eingriff in meine Würde schmerzhaft gewesen. Der Typ ging nach ein wenig Smalltalk mit Kaugummis, einem Getränk und zwei Lottofeldern. Im nächsten Leben werde ich Versicherungsvertreter oder Finanzberater. Der konnte gern petzen gehen. Zu seinem Onkel, Vater oder wie auch immer der zu Maas steht. Der wartete bestimmt hinter der nächsten Ecke und ließ sich alles brühwarm berichten.

Da brauchte ich einen großen Schluck für den arbeitenden Mann. Der zweite war für mich. Ich glaube, ich habe immer noch meinen Kopf geschüttelt, als der nächste Kunde kam. Diesmal glücklicherweise einer der Stammkunden, willkommener Alltag. Wobei unser Geschäft alles andere als normal war. Ich glaube, wenn mir Maas nicht seinen Spürhund aufgehetzt hätte, wäre die Sache anders verlaufen. Aber im Nachhinein war es eine steile Vorlage vom Schicksal. Ich stand frei vor dem Tor und musste das Ding nur reinmachen.

Kommt da also einer der regelmäßigen Lottospieler. Der spielt immer mittwochs immer seinen Quicktipp, drei Felder ohne den Zusatzkram. Donnerstags kommt er vorbei, holt Zigaretten und lässt den Schein durchlaufen. Sein Schenkelklopfer ist: „Und wie viel habe ich diesmal gewonnen?“ Den bringt er jedes mal, während er sich seine Zigarette anzündet. Dann wartet er ab, ob er etwas gewonnen hat. In der Regel muss er jedoch ein paar Münzen zum Bezahlen hervorkramen. Der Alte ist ein typischer Pechvogel.

Und zu vertrauensselig. Wobei: Bisher hat er seine Gewinne auch brav ausgezahlt bekommen. Jedenfalls von mir. Viel war es sowieso nie. Hätte er einfach mal auf die Kasse geschaut, hätte er diese auch Bar auf die Kralle bekommen. Aber nein, der Suchtkrüppel musste ja seinen Glimmstängel quarzen. Selbst schuld.

Der gute Mann hat mit seinem Lottoschein, direkt mit dem ersten Feld gewonnen: 472 Euro.

Mit zittriger Stimme habe ich meinen üblichen Satz herausgepresst: „Knapp am Jackpot vorbei, aber leider daneben.“

Heute war nicht sein Tag… im Gegensatz zu gestern.

Ich habe die Kasse beinahe panisch geöffnet und geschlossen, damit der Betrag gleich wieder verschwand. Ich war so fixiert auf die Kasse und deren Anzeige, ich hätte beinahe vergessen, ihn wegen der Zigaretten abzukassieren. Er hat mich daran erinnert. Es gibt halt noch ehrliche Menschen auf dieser Welt.

Meine Schicht war damit auch vorbei. Der Typ hätte keine 5 Minuten später kommen dürfen. Als Maas kam, grinste er wie ein Schimpanse. Das konnte ich ihm umgehend vergehen lassen. Maas regt sich immer auf, wenn jemand gewinnt. So konnte ich ihm ein wenig die Laune verderben. Man könnte meinen, er müsste das Geld selbst bezahlen und sich jeden Gewinn vom Mund absparen. Bevor er loslegt, schnaubt er immer übertrieben durch die Nase. Bei diesem herablassenden Geräusch sträuben sich mir die Nackenhaare. Ich würde ihn am liebsten klonen, um ihn jeden Tag töten zu können. Er hat gefragt, ob ein Stammkunde gewonnen hat. Das musste ich natürlich verneinen. Dann hat er wieder geschäumt: „Die kommens nur her, um das Geld abzuholen. Denen müsst ma Hausverbot geben.“

Er meinte, dass ich ja nichts dafür könnte, aber es nicht gut ist, wenn die Leute bei mir Geld abholen. Maas: „So was spricht sich doch rum.“ Da würden die Leute denken, dass ich Glück bringe. Bevor ich endlich flüchten in den Feierabend konnte, gab es noch Zuckerbrot: „Mir ist da zu Ohren gekommen, dass se hier richtig engagiert verkaufen, Anders. Da können ma mal schauen, ob se hier nich Karriere machen.“