Gönnhardt: Kapitel 2

Klatsche.

Es sollte so werden, wie Gönnhardt befürchtet hatte. SVG, wie ihn Fans, Feinde und mäßig Interessierte nannten, siegte, ohne einen Satz zu verlieren. Es war die langweiligste Art von Sportereignis, es war eine Abreibung, eine wahre Klatsche. Das letzte Spiel vor der Weihnachtspause war so spannend, wie mit Babys zu diskutieren. Gönnhardt fürchtete ein schlechtes Omen, als er sich auf den Heimweg machte. Geistesabwesend streifte er durch Gassen und Wege. In seinem Selbstmitleid und dem Grauen vor den Weihnachtsfeiertagen, war ihm sogar egal, wem oder was er begegnen würde.

Der Schnee wurde unverhofft zu Regen, die weiße Pracht verwandelte sich in grauen Matsch. Mit der Nässe kam die Kälte. Gönnhardt realisierte, dass er auf schnellstem Wege nach Hause musste. Erfrieren war nicht cool. Ein Stein hatte sich prompt in Gönnhardts Magen eingenistet. Denn: Ihm wurde mit jedem Schritt klarer, dass er eigentlich nicht nach Hause wollte. Er spürte, wie genervt er nicht nur vor den Festtagen, sondern von seinem gesamten Leben war. Es war immer der gleiche Trott. Zuhause würde nichts Spannendes passieren. Alles geliefert, wie bestellt. Und jetzt machte auch noch die einzige Abwechslung der letzten Monate, die Darts Weltmeisterschaft, Pause.

Gönnhardt malte sich die nächsten Tage aus: Während seine Mitbewohner Florentine, Claudette und Schorschi den Weihnachtsgeist zelebrieren, Reinholdt zumindest interessiert sein und Bertram sich zurückziehen würde, muss er leiden. Er konnte seine Umwelt nicht einfach ausblenden, wie es Bertram meisterhaft bewerkstelligte. Er würde sich aufregen, Vorwürfe machen, verrückt werden – wie jedes Jahr.

Normalerweise hatte Gönnhardt keine großen Probleme mit seiner Wohngemeinschaft. Es gab zwar häufig Streitigkeiten, doch diese wurden meistens ohne Gönnhardts Beteiligung ausgefochten. Er konnte es nicht ändern, er fand seine Mitbewohner an diesen jenen Tagen im Dezember mit jedem Jahr unerträglicher. Übertriebene Hilfsbereitschaft gepaart mit unehrlicher Eintracht ergab für ihn eine Ausgeburt der Hölle. Zugegebenermaßen waren seine Mitbewohner auch wie ausgewechselt. Selbst Streithenne Claudette und Streithahn Reinholdt schleuderten sich langgezogene Bitteee und Dankeee an die Schädel, während sie einander teuflisch angrinsten. Da waren Gönnhardt sogar die Tage, an denen boshafte Deppkopf und Blödeimer durch die Luft flogen, lieber. Es waren keine warmen Gedanken, aber immerhin war er auf dem Heimweg abgelenkt.

Der niedergeschlagene Geselle war durchgefroren, als er eintrat. Das Wohnzimmer wurde in diesem Augenblick zu seiner persönlichen Irrenzelle. Gönnhardt murmelte zu sich selbst: Willkommen in der Anstalt. Claudette und Reinholdt zankten wegen der nächsten Mahlzeit, doch wollten es sich nicht anmerken lassen. Sie wollte das Eine kochen, er wollte das Andere essen. Die beiden beendeten ihre Kommentare so, wie es sich für Weihnachten gehörte: mit gezischten Bitten und gebrüllten Danksagungen.

Gönnhardt wollte sich nicht einmischen. So leise, wie es der Anstand zuließ, brummte er in den Raum: Ich bin zurück.

Keine Reaktion. Erleichtert verkroch er sich in seine Lieblingsecke. Dort war die Akustik gnädig, ein Teil der Geräusche wurde geschluckt.

Er war dabei einzudösen, als ihn ein säuseliger Satz aufschrecken ließ. Ein Vorschlag, der für Gönnhardt eine Drohung war, schlüpfte durch den Schallschutz der tiefen, unebenen Decke.

Claudette: Wir könnten auch einfach bis Silvester durchfeieeern. Die Stimmung ist so feeestliiich.

Gönnhardt riss die Augen auf, als er die Antworten vernahm. Es war Zustimmung! Als ihm klar wurde, was diese Mehrheitsentscheidung bedeutete, überlief ihn ein eiskalter Schauer. Der Schnellfrost hatte Gönnhardt erfasst, gegen Gönnhardt war ein Schneemann ein Heizpilz. Ihm wurde schwarz vor Augen. Und nicht wegen Müdigkeit. Er schüttelte sich bei dem Gedanken an das bevorstehende Weihnachtsfest. Die Vorstellung von Silvester gab ihm den Rest. Da war auf den Straßen schon wieder die Hölle los, jeder warf mit diesen lauten, stinkenden Böllern um sich. Das hieß, er war schon wieder zuhause gefangen.

Dann sprach Gönnhardt aus, was ihn am meisten grauste: Und die wollen die ganze Zeit feiern.

Schorschi hatte bemerkt, dass Gönnhardt aufgeschreckt war. Er nahm es allerdings als Aufwachen wahr und fragte: Gönnhardt, komm doch mal her. Du hast immer die besten Ideen. Welche Spiele sollen wir dann spielen?

Es war nett gemeint, Gönnhardt direkt in die Planungen einzubeziehen, aber der Gute konnte einfach nicht. Er stellte sich schlafend, um die Fragen ignorieren, um einen Schlachtplan entwerfen zu können.

Wann Gönnhardt tatsächlich eingeschlafen war, spielt keine Rolle. Er wachte mitten in der Nacht auf. In Angstschweiß gebadet vergewisserte er sich, dass er nicht von Luftschlangen gewürgt oder Konfetti erstickt wurde. Seltsam, diese Albträume. Das Schnarchen von Schorschi beruhigte ihn, es wiegte ihn wieder in den Schlaf.

Der nächste Morgen: Reinholdt und Claudette stritten. In der Frühe, so ganz ohne Zuschauer simulierten sie wenigstens keine traute Zweisamkeit. Die beiden beschimpften sich im Flüsterton. Da dieser mit jedem Fluch an Lautstärke gewann, wurde Gönnhardt von einem gefauchten, dummen Pferdekopf geweckt.

Reinholdt und Claudette waren Geschwister. Obwohl sie es vehement abstritten, weil ihnen noch niemand einen Beweis dafür erbringen konnte, war es so. Bruder und Schwester ähnelten sich, hatten aber selbstredend auch jeweils ihre eigenen Feinheiten. Claudette war ein kleiner Naivling, aber mit reichlich Temperament ausgestattet. Sie putzte gerne und nahm es als persönliche Beleidigung auf, wenn etwas lag, wo es nicht hingehörte. Sie war genauso schnell auf 180, wie sie sich wieder abregte. Reinholdt war in vielen Bereichen realistischer, aber ähnlich aufbrausend. Reinholdt war außerdem ein kleiner Schmutzfink, weil er sich darauf verlassen konnte, dass Claudette ihm murrend hinterher räumen wird.

Auch heute war die Ordnung mal wieder der Auslöser der Meinungsverschiedenheit. Reinholdt, der kleine Fiesling, wollte Claudette ärgern. Gelangweilt von der Morgenruhe und gehässig, wie er war, verstreute er ganz zufällig Reste seiner Mahlzeit in dem Bereich, in dem Claudette gerade gewütet hatte. Und das ging natürlich gar nicht.

Reinholdt schrie: ICH HABE NUR MEIN FRÜHSTÜCK GEGESSEN! MEHR NICHT!

Claudette erwiderte: Du hast herumgesaut, hast du.

Gönnhardt hasste diese Spielchen. Es war stets der gleiche Ablauf: Reinholdt ärgerte Claudette. Claudette wurde wütend. Reinholdt vergaß, dass er Claudette ärgern wollte und wurde sauer. Dann flogen solange die Fetzen, bis einer der anderen Wölfe dazwischen ging. Wer diesmal das Opfer werden sollte, wollte Gönnhardt nicht mitbekommen. Er drehte sich um, versuchte beide Ohren schalldicht zu verschließen. Fest stand ohnehin, dass derjenige, der schlichten wollte, für die nächsten Minuten von beiden, von Reinholdt und Claudette, angeschrien und angefaucht wurde. Jeder Streit zwischen den Geschwistern endete in einem 2-gegen-1-Handicap-Kampf.

Und da war er, der nächste Spielzug von dem alltäglichen Theaterstück. Schorschi, dümmlich wie er war: Hört doch auf zu streiten, wir haben Weihnachten. Bruder und Schwester müssen sich lieb haben.

Claudette und Reinholdt fühlten sich zwar ertappt, sie verhielten sich in der Tat unweihnachtlich, doch das schützte den armen Schorschi nicht vor seiner Abreibung.

Claudette: Ich werde dir nichts kochen, Schorschi. Nicht heute, nicht morgen und nicht bis Silvester und danach.

Reinholdt: Hör auf uns zu mobben! Oder wir schicken dich weg und lassen dich nie wieder rein!

Das war eine Aufforderung für Gönnhardt. Sein Unterbewusstsein hatte bereits im Schlaf einen Entschluss gefasst, das Schicksal hat diesen eben bestätigt. Gönnhardt richtete sich auf, er streckte und reckte seine müden Knochen. Gönnhardt drehte sich zu Bertram um. Der schlief noch. Bertram hatte ein Lächeln auf den Lippen, Gönnhardt gönnte ihm die Ruhe. Die nächsten Tage würden stressig werden.

Gönnhardt hauchte in Bertrams Richtung: Es tut mir leid, aber ich muss.

Gönnhardt und Bertram hatten schon oft über den nächsten Schritt gesprochen. Auf einen gemeinsamen Nenner kamen sie dabei nicht. Bertram hatte Gönnhardt nie verstanden, er redete es ihm immer wieder aus. Bertram war sein bester Freund, doch in gewissen Dingen waren sie von Grund auf unterschiedlich. Gönnhardt dürstete es schon seit Jahren nach Abwechslung.

Gönnhardt schaute seinen Freund an. Dessen ruhige Atembewegungen versetzten ihn in eine Trance. Es kamen Zweifel in ihm auf. Er hörte wieder Bertrams Argumente. Es ist gefährlich. Was kommen wird, ist ungewiss. Die sind gefährlich. Vielleicht hatte Bertram recht, doch gerade das machte ja den Reiz aus. In ihren vielen Diskussionen über die Zukunft war Bertrams Standpunkt stets: So schlecht ist es hier doch gar nicht. Was kommen könnte, könnte viel schlimmer sein. Die Angst vor dem, was ihm da draußen alles widerfahren könnte, schüchterte Bertram so sehr ein, dass er auch Gönnhardt immer wieder überzeugte.

Schooorschiii spinnst du eigentlich?

Reinholdts Generalston riss Gönnhardt aus den Träumereien. Er wusste: Es war an der Zeit, den Weg des geringsten Widerstandes zu verlassen. Noch so ein Jahr würde er nicht aushalten, sagte er sich, als er in die Mitte des Zimmers ging. Er stolzierte zum Ausgang, drehte sich nochmal um, brüllte gegen den Lärm an: Ich bin dann mal weg.

Und so verließ Gönnhardt den Fuchsbau.

***

Dieses Kapitel ist ein Teil des Buches Gönnhardt: Füchse, Kriege, Flüchtlingskrise. Ich hoffe, dass dir die Kostprobe gefallen hat. Ich denke allerdings, dass es mehr Spaß macht, wenn man das Buch als Komplettpaket liest. Was dich trennt? Die Bestellung. Keine Sorge: Falls du das Buch kaufen möchtest, musst du nicht viel Geld ausgeben.

Wenn du das Buch in einem Rutsch lesen möchtest, bieten sich beispielsweise diese Bezugsquellen an …

>>> jetzt zu GÖNNHARDT: FÜCHSE, KRIEGE, FLÜCHTLINGSKRISE! bei Amazon

>>> jetzt zu GÖNNHARDT: FÜCHSE, KRIEGE, FLÜCHTLINGSKRISE! bei bücher.de

>>> jetzt zu GÖNNHARDT: FÜCHSE, KRIEGE, FLÜCHTLINGSKRISE! bei Thalia

>>> jetzt zu GÖNNHARDT: FÜCHSE, KRIEGE, FLÜCHTLINGSKRISE! bei langer blomqvist

>>> jetzt zu GÖNNHARDT: FÜCHSE, KRIEGE, FLÜCHTLINGSKRISE! bei Fachbuch Richter

>>> jetzt zu GÖNNHARDT: FÜCHSE, KRIEGE, FLÜCHTLINGSKRISE! bei BOD