Gönnhardt: Kapitel 1

Ein festlicher Reinfall.

Und dann fing er leise an zu rieseln. Endlich! Seit Wochen sehnten sich Mädchen die Unterlage für Schneeengel und Jungen das Baumaterial für Schneemänner herbei. Auch Erwachsene träumten in den ruhigen Minuten des hektischen Tages immer öfter den Traum der weißen Weihnacht. Es fiel zwar nicht der erste Schnee des Jahres, doch da die letzten Flocken bereits im Februar geschmolzen waren, kam es den meisten Karlsruhern so vor. Hurra! Es schneit!

Es regnete bald kräftige Schneefetzen. Die Vorfreude auf Weihnachten schwappte in den Wohnungen und Häusern damit sogar auf die Grinche über. Kinder standen mit großen Augen an den Fenstern. Sie beobachteten mit ihren Eltern, wie sich die Landschaft aufhellte. Die weiße Pracht entfaltete sofort ihre magische Wirkung. Paare drückten sich aneinander. Quer durch die Stadt schmiegten sich Frauen an ihre Männer, Männer an ihre Göttergatten, Frauen an ihre Herzdame und derzeit nicht nachgefragte Lebensabschnittspartner an ihre Katzen. Wahrscheinlich herrschte nicht überall solch idyllische Glückseligkeit, aber man konnte es vermuten, wenn man betrachtete wie die Karlsruher Dächer mit dem kalten Puderzucker überzogen wurden. Dieser Abend sollte in den meisten Haushalten traut und gemeinsam werden. Weihnachtslieder wurden gesummt, die letzten freien Flecken des Tannenbaums mit zerbrechlichem Schmuck zugekleistert.

In einer kleinen, gemütlichen Wohnung in der Karlsruher Weststadt versuchte ein kleiner Junge, den Funken über springen zu lassen. Er wollte das festliche Feuer seiner Mama entfachen: Sau mal Mama, Snee.

Mama erwiderte: Sch-sch-sch!

Tim verwundert: Ich will nicht schlafen.

Die Mama lächelte, nahm den Einwand nicht wahr. Tatsache! Sie konnte sich dem Zauber nicht entziehen. Der Blick aus dem Fenster versetzte Anne in ihre Kindheit zurück. Ach war das früher schön gewesen, dachte sie. Solche Freuden wollte sie ihrem Kind nicht vorenthalten.

Anne gab sich einen Ruck: Wenn der Schnee liegen bleibt, bauen wir morgen einen Schneemann und kaufen danach einen Tannenbaum!

Es sollte an diesem Abend noch doller kommen. Tim animierte seine eigentlich aufgrund des Kommerzwahnsinns Weihnachten boykottierende Mutter sogar zum gemeinsamen Singen: O du selige, gnadenbringende, Weihnachtszeit. Das waren nicht die einzigen schiefen Töne, die bis zum Zudecken und Vorlesen von den Wänden hallten. Weihnachten war nun auch in dieser Wohnung angekommen.

Szenenwechsel: Es herrschte tatsächlich nicht überall idyllische Glückseligkeit. Weihnachten war für Gönnhardt die schlimmste Zeit des Jahres. Nicht weil er sich einsam und verlassen fühlte, sondern weil er sich gefangen fühlte. Er war keiner der Typen, die kurz vor den Feiertagen Angst vor dem Alleinsein bekommen. Die Sorte, die sich genau die Familie und die Freunde herbeiwünschen, um die sie sich quer durch den Kalender und bis zu den Weihnachtsfeiertagen nicht scherten. Nein, Gönnhardt plagte an Weihnachten die Enge, die Nähe, die Aufregung und die Vorhersehbarkeit.

Gönnhardt war von unscheinbarer Statur. Das Haar so strohig und strack, jeder Frisör bräuchte erstmal eine Beruhigungszigarette, würde Gönnhardt in den Salon schlendern. Man könnte es buschig und wild nennen, wenn man Gönnhardt übel gesinnt ist. Da wir das nicht sind, nennen wir ihn auch sportlich, drahtig, mit aufgeweckten Augen und mittelgroß gewachsen.

Gönnhardt saß gerade zusammengesunken auf dem blanken Boden seiner Behausung und ließ das Elend Revue passieren. Die letzten Tage waren schlimm gewesen. Ihm kam es so vor, als ob sich auch die restlichen Menschen dem Druck beugten, ihren nahen und nicht-so-nahen Mitmenschen etwas zu besorgen. Man will ja nicht mit leeren Händen dastehen, wenn einem der diesjährige Tannenbaum und die dazugehörigen Geschenke gezeigt werden.

Da es jedes Jahr mehr Personen wurden, denen sich der Mensch von heute verpflichtet fühlte, musste auch öfter eingekauft werden. Das hieß für Gönnhardt: Stadt voll. Also: Straßen voll. Bedeutet: Enorme Schwierigkeiten, die Weltmeisterschaft im Darts ungestört zu schauen. Dazu musste es Gönnhardt nämlich zum Pub schaffen. So etwas wie einen Fernseher gab es bei ihm zuhause nicht.

Gönnhardt saß also da, haderte mit seinem Schicksal, und sagte sich mal wieder in einem positiven Ton: Anfangen ist der schwerste Schritt. Wenn du auf dem Weg bist, bist du am Ziel.

Es half! Ein Fünkchen Motivation! Gönnhardt stand auf, er drehte sich um und schaute raus. Er seufzte erleichtert. Es dämmerte nicht nur endlich, es schneite sogar. Die Hoffnung, dass sich die Karlsruher jetzt in ihre warmen Wohnungen zurückzogen, rang ihm ein Lächeln ab. Vielleicht sollte es doch ein gemütlicher Spaziergang zur Sportsbar werden.

Gönnhardt wurde von Jahr zu Jahr mehr zum Dartsfan. Anfangs war es kein Interesse am Sport, das ihn zum Schauen brachte, sondern willkommene Ablenkung. Dass sich die Weltmeisterschaft im Pfeile werfen von der Vorweihnachtszeit bis zur Nachsilvesterperiode zog, musste Schicksal sein. Je stärker seine Mitbewohner vom Weihnachtsfieber erfasst wurden, desto öfter musste er aus der Wohngemeinschaft flüchten. Gönnhardt wurde durch seine Abscheu vor erzwungener Heiterkeit vor ein paar Jahren vor eine kleine Kneipe am äußersten Ende von Karlsruhe getrieben. Denn erst dort fand er ein nettes, einsames Plätzchen. Wie es der Zufall so wollte, wurde im TV gerade ein Dartspiel gezeigt und so kam dann eines zum anderen. In eben jenem Jahr überwand er sich, ein paar Partien anzuschauen, um auf andere Gedanken zu kommen. Mittlerweile fieberte er mit und ließ sich kaum ein Spiel entgehen. Aber spulen wir wieder vor zum aktuellen Jahr.

Gleich sollte ein Vorrundenspiel stattfinden: Sebastian van Geert gegen John Weeder. Gönnhardt war sich sicher, dass es eine klare Sache wird. Solch ein Match war eigentlich nicht den Aufwand wert, sich ungesehen auf den Weg durch die Stadtmitte zu machen. Aber Gönnhardt saß auf heißen Kohlen. Seine beiden weiblichen Mitbewohner hatten sich bereits am Vormittag mit Nettigkeiten überboten. Ihm blieb nur die Flucht nach vorne, wenn er den Abend nicht zwischen passiv-aggressiven Damen, die in freundlichem Ton Wortgefechte austrugen, verbringen wollte.

Die erste gesungene Beleidigung von Florentine sollte er nicht mehr mitkriegen. Mittlerweile war er schon unterwegs und wähnte sich hinter seinem eiskalten, weißen Sichtschutz sicher. Der Abschied war nicht herzlich, Gönnhardt verschwand wortlos. Die anderen waren so sehr miteinander beschäftigt, sie hätten ihn sowieso nicht gehört.

Es kam nicht wie erwartet, aber wie erhofft: Gönnhardt war ganz alleine unterwegs. Niemand tat es sich an, bei diesem Wetter in diesen Teil von Karlsruhe zu gehen. Schlecht für die Gastronomie, gut für Gönnhardt. Er konnte regelrecht durch die Straßen streunen. Sie waren so verlassen, als hätte sich eine Atombombe zum Besuch angekündigt. Keine Menschenseele zu sehen. Gönnhardt hatte bald seinen Stammplatz inne. Es war zugig, kalt, nach kurzer Zeit auch noch nass, aber frei.

Der Sprecher stellte den ersten Spieler mit Sirenenstimme vor: Seh-Baaah-Stiii-Jaaaan-Vannn-Geeert! Musik fing an blechern zu dröhnen. Gönnhardt war von einem Moment auf den nächsten tiefenentspannt. Er sah kaum etwas, er hörte fast nichts, doch immerhin war sein Plätzchen einsam und verlassen.

***

Dieses Kapitel ist ein Teil des Buches Gönnhardt: Füchse, Kriege, Flüchtlingskrise. Ich hoffe, dass dir die Kostprobe gefallen hat. Ich denke allerdings, dass es mehr Spaß macht, wenn man das Buch als Komplettpaket liest. Was dich trennt? Die Bestellung. Keine Sorge: Falls du das Buch kaufen möchtest, musst du nicht viel Geld ausgeben.

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