Ich kann gar nicht sagen, wann ich gestern zurück gekommen bin. Ich bin ja froh, dass ich nicht versuchte, das Hotel nicht zu Fuß zu suchen. Die Kombi Club + Döner + Taxifahrt, hat in den frühen Morgenstunden geendet haben. Müsste ich nicht gerade die letzte Chance auf das Frühstücksbuffet und den dazugehörigen Kaffee nutzen, würde ich mich wohl von der Glotzbox in den Schlaf wiegen lassen.
Der Abend. Nun ja, fangen wir vorne an. Beim grünen Minister getroffen, noch ein Bier getrunken. Das Ziel war laut Immo einen Steinwurf entfernt. Daraus wurden zwei Ecke und drei Straßen.
Der Club war so gar nicht mein Ding. Es hat damit angefangen, dass wir den Türsteher bestechen mussten. Ich dachte, so etwas gibt es nur in US-Filmen. Ob 20 Euro der gängige Kurs ist, kann ich nicht sagen. Bei uns war es ausreichend. Immerhin konnten wir Immo aufziehen, dass seine Connections doch nicht so gut sind, wie er getan hat. Das war der Running Gag des Abends.
Innen: Erstmal hatte ich einen kleinen Schock, weil es mich das Publikum eher an Jugenddisco erinnert hat. Es war alles voll mit Mädchen, die sich zu sexy und quirlig angezogen haben, dazu bunte Accessoires, die eher auf den Tannenbaum Mitte Dezember passen würden.
Nachdem ich eine erste Runde gedreht, mir die Mädels genauer betrachtet habe, war dann aber klar, dass Schminke einfach immer besser wird. Ich war erleichtert und erschrocken. Die Frauen waren mehr als volljährig. Alle eher Anfang bis Mitte 30. Garniert wurde das mit Männern, die sich nur in einer Meute raustrauen. Da wurde man angerempelt oder dumm angemacht, wenn man sich sein Betäubungsmittel kaufte. Und die Getränke waren auch überteuert. Mit steigendem Pegel sanken erwartungsgemäß die Ansprüche.
Hier gelächelt, dort getanzt. Dabei immer wieder Immo aufgezogen. Überraschend kam dann noch die heiße Kimmy vorbei, die die schönen Augen, die ich ihr gemacht habe, jedoch komplett ausgeblendet hat. Zu ihrem Cuba Libre ließ sie sich trotzdem immer wieder einladen. So ein Luder.
Da ich während dem Stuhlkreis am Vorabend dermaßen von Anna geschwärmt habe, war ich gezwungen den treudoofen Verliebten zuspielen. Hätte ich mal nicht so übertrieben. Kimmy hätte ich nach genug Drinks bestimmt rumgekriegt. Vor meinen Freunden wollte ich aber doch noch als die gute Seele gesehen werden, als die ich sie verlassen hab.
Ob ich das noch bin? Eher nicht. Ob ich die Freiheiten genutzt hätte? Ich meine, Anna hätte ja niemals etwas erfahren.
Es war bis dahin lustig, aber brav. Und dann kam irgendwann der Moment, als die Nadel auf der Schallplatte verrutscht ist.
Es war kein Schlag in die Magengrube. Es war eher das Gefühl der Unsicherheit, wie wenn man mit seinem Stuhl zu weit nach hinten geschaukelt ist. Der Augenblick der Ungewissheit, ob man nun fällt und umkippt. Was passiert jetzt?
Es war der Auftritt von Alex.
Sie sah nicht heruntergekommen aus, hat nicht zugenommen. Keine verheulten Augen, keine grauen Haare. Nicht mal zugenommen. Es wäre ein pure Genugtuung gewesen, sie leidend zu sehen. Doch leider hat sie sich schick gemacht und erfolgreich aufgehübscht. Ich hoffte, dass sie auch nur diese Verjüngungsschminke aufgelegt hat, dass es ihr innerlich miserabel ging. Auch meine nächsten Gedanken waren gemein.
Anna kam in unsere Ecke stolziert. Unvermeidlich: Unsere Blicke haben sich getroffen, während sie die anderen begrüßt hat. Den Schock, dass sie da war, hatte ich noch nicht verarbeitet, als mich brennend interessierte, warum sie da war. Ob sie jemand eingeladen hat, konnte ich nicht erkennen. Aber es hätte mich schon stark gewundert, wenn sie einfach so alleine auftaucht. Wer hat mich verraten? Zumindest diesmal dürften es nicht die Sozialdemokraten gewesen sein…
Statt sie anzulächeln, zu ihr zu gehen, sie offen zu begrüßen, vielleicht sogar in den Arm zu nehmen, habe ich den Blickkontakt gebrochen. Bin erstmal zur Theke. Einer ging noch rein. Das hat wohl den Ton für den Rest des Abends gesetzt. Die Platte drehte sich wieder, so wie mein Kopf beim Aufwachen. Nach einigen Liedern, in denen ich unbehaglich neben der Tanzfläche stand, es war fast eine Schockstarre, sind die beiden Kontrahenten schließlich aufeinander gestoßen. Es hat kein Weg daran vorbei geführt. Wir konnten uns nicht den ganzen Abend ignorieren, es wurde peinlich. Die anderen beobachteten unser Schauspiel zu aufmerksam. Also bin ich zu ihr hin.
Freundschaftlich war unsere Unterhaltung nicht. Was soll man sich auch beim ersten Treffen nach einer Trennung sagen, nachdem man sich Monate nicht gesehen hat? Wenn man sich ins Ohr brüllen muss, um etwas zu verstehen?
Offensichtlich lockern Spirituosen die Zunge noch mehr als Bier. Nach ein bisschen Geplänkel, wo sie wohnt, ich wohne, wollte ich ihr einen reindrücken. Also habe ich sie gefragt, wie es mit ihrem Latin-Lover läuft, wann die Hochzeitsglocken läuten. Sie hat mich aus furiosen Augen angeschaut. Der saß. Das war ein durchschlagender Erfolg, wie wenn man eine Quittung schreibt. Ich wusste schon von Mike, dass der Typ einmal zu Besuch gekommen ist, sich wie ein Kaiser aufgeführt und von ihr hat aushalten lassen. Danach wart nie wieder von ihm gehört.
Dann kam, was kommen musste. Aus bösen Blicken wurde Zicken, aus Zicken wurde Streit. Sie erklärte mich zum Feigling, ich nannte sie billig. Wir haben uns gegenseitig Fehler vorgeworfen, warum die Beziehung mit dem anderen die Hölle war. Der Grundtenor: Sie ist so ein schlechter Mensch, dass ich wegen ihrer Anwesenheit depressiv wurde. Ich bin so ein schrecklicher Verlierer, dass sie nur aus Mitleid bei mir blieb, aber sich andere Typen angeln musste.
Da der Streit in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde wie Zeitungen am Morgen, wir unter Überwachung standen, haben wir uns mit Lächeln auf den Lippen beschimpft. Was unsere Bekannten aus ihren neugierigen Blicken gezogen haben? Verstehen könnten sie ja nichts. Bestimmt, dass wir total erwachsenen und vernünftig sind. Beim Schein wahren waren wir schon immer gut. Lars gaffte unverhohlen, Immo und Mark schauten immer mal wieder verstohlen.
Dann wurde es noch schlimmer. Besoffen wie ich war, habe ich dann aufgezählt, warum Anna viel besser als sie ist. Dann wollte ich ihr Gönnerhaft einen Drink ausgeben. Weil sie doch jetzt alleine die Miete stemmen muss.
Jetzt konnte sie kontern, ein Tiefschlag: „Ach, wenn du wüsstest.“ Es gibt einen Neuen, den fand sie schon während unsere Beziehung so toll. Mein System war kurz vor dem Absturz. Überhitzung! Ich lief ins offene Messer, hab sie gefragt, ob sie schon vorher Affären hatte. Und sie meinte in diesem provozierenden Ton, dass das doch jetzt egal ist: „Wir sind doch eh getrennt.“ Ich war so sauer, als stünden wir gerade vor dem Traualtar. Ich starrte sie an, sie starrte zurück. Ich sagte zu ihr, dass sie aufpassen soll. Noch ein Treffer unter der Gürtellinie: „Du hast ihn heute sogar schon auf ein Getränk eingeladen, du Idiot.“
Mein Getränk war mittlerweile leer, das Glas war mein einziger Halt, wahrscheinlich war es kurz vorm Platzen. Ich war wütend, fühlte mich gedemütigt. Wenn mein Gesicht vorher wegen dem Alkoholpegel gerötet war, musste es nun leuchten.
Sie wusste, dass sie die Oberhand hat, geschützt in der Menschenmenge, wo ich weder schreien noch toben konnte. Alex: „Er ist einzogen, nachdem du endlich weg warst. Es hat sich dann einfach so entwickelt“. Und dann durfte auch das letzte Körnchen Salz in der Wunde auch nicht fehlen: „Mit ihm ist alles viel schöner.“
Ohne weitere Worte hat sie sich umgedreht, ist zu Lars gelaufen. Hat die Arme um seinen Hals gelegt, ihr Gesicht in seines gedrückt. Lars löste sich, neigte den Kopf, schaute mich mit einer Mischung aus Unsicherheit und Unglücklich sein an – das Gefühl kam mir so bekannt vor.
So stand ich dann da. Geschockt in einer überdrehten Disco. Um mich tanzende und feiernde Menschen. Gezwungen, gute Mine zum bösen Spiel zu machen. Ich hörte eine Stimme in meinem Kopf: Anders, du darfst keine Schwäche zeigen. Lass mich übernehmen. Ich regel das.
Ich nickte, gab Lars den Daumen nach oben.
Dann fixierte ich den Hinterkopf von Alex. Hinter meinem Lächeln lag jetzt echte Freude.
Bevor ich mir den nächsten Drink holte, trafen meine Augen nochmal die von Alex. Ihre funkelten. Ich zwinkerte ihr zu.
Wenn du wüsstest…