Uff, das war ein Morgen. Also, wo fange ich an? Erstmal: Ich sitze jetzt wieder im Kiosk und gehe meiner gewohnten Tätigkeit nach. Wie eine Maschine: Zigaretten schieben und Lottoscheine annehmen. Es lässt sich daraus schließen: Das Kiosk wurde nicht in die Luft gesprengt. Überraschung! Der Bombenalarm war ein Finte. Das Viertel ist sicher.
Als ich zu Schichtbeginn angekommen bin, hat mich der alte Maas empfangen. Ich hatte ziemlichen Bammel davor, was mich jetzt erwarten würde. Da ich jeglichen Kontakt mit der Polizei vermeiden wollte, habe ich gestern einen sprichwörtlichen Bogen um das Kiosk gemacht, und bin über die Querstraßen ausgewichen. Heute war also der große Tag.
Wie gesagt, Maas war schon da. Ungewöhnlich, normalerweise kommt er nur zum Feierabend, um die Abrechnung zu machen. Da stand er also in seinem alten Mantel, das schmutzige Beige hat perfekt zum Tageslicht gepasst. Aus der ursprünglichen Nervosität wurde dann Selbstsicherheit, als ich sah, wie unwohl er sich fühlte. Er tat mir schon ein wenig leid, sah sowohl besorgt als auch verpennt aus. Wie ein bedröppelter Opa, der schlechte Nachrichten für seine Enkel hat, dachte ich, als ich schnellen Schrittes die letzten Meter genommen hab. Weihnachten kann ich mir dieses Jahr nicht leisten, meine Lieben.
Seine Miene hat sich überraschenderweise aufgehellt, als er mich erkannt hat. Er begrüßte mich mit der üblichen Rotzhand. Dann ging er gleich an das Eingemachte. Er wollte mich mit einer Entwarnung beruhigen: „Anders, hier hammse nichs zu befürchte.“
Er meinte, die Polizei habe sich ganz genau umgeschaut, und dabei nichts gefunden. Er: „Die waren mit de Hunden da und mit de Fachmännern da, aber nichts war zu finden, rein gar nichts.“ Die hätten ihn wegschicken wollen, aber er hat darauf bestanden zu bleiben. „Ich kenn da nix, wissense. Drohen lass ich mir ned.“
Herr Maas erzählte mir auf Nachfrage, was er wusste. Das war ziemlich viel. Er muss die Beamten mit Fragen gelöchert oder einen Lauschangriff gestartet haben. Er verriet mir, dass die Polizei eine Bombendrohung erhalten hat. Der Verfasser hieß Ahmedi oder Achmedi. „So ein dreckiger Lump“, wie Maas treffend hinzufügte. Er sagte, dass der Typ tot aufgefunden wurde, sein Cousin hat ihn entdeckt. Die Ärzte, die zur Überprüfung gekommen sind, haben dann eben jene Bombendrohung gefunden, die uns den Schlamassel eingebrockt hat. Es war unmissverständlich unser Kiosk gemeint. Eine Evakuierung der umliegenden Häuser sein nicht nötig gewesen, weil das Kiosk abseits steht und weder Drohung noch Drohender als akute Gefährdung eingestuft wurden. Die Durchsuchung war laut Maas also eher Routine und Vorsichtsmaßnahme. Er berichtete weitere Einzelheiten, alles uninteressant. Danach versicherte er mir nochmal, dass ich mir keine Sorgen machen muss, also bloß nicht krankfeiern.
Er spekulierte dann, dass ihm ein Konkurrent aus dem Kiosk-Unternehmertum das Geschäft vermiesen will. Er sagte, dass er von Ach, dem Medi, dem Lumpen, noch nie etwas gehört hat. Auch das Gesicht auf dem Foto der Polizei habe er nicht wiedererkannt. Er hat ihn mir beschrieben. Es war der Gauner, ich bin mir sicher.
Dann fragte er mich aus. Mir fehlte die Kraft groß zu improvisieren, ich konnte ihm nur zustimmen.. Der Name sagte mir nichts, mir ist auch niemand aufgefallen, der seiner Beschreibung entspricht. Nach einer Handvoll Einsilber wurde klar, dass wir nicht weiter kommen würden. Erlösung: Die ersten Kunden schlichen an. Verabschiedung: Wir schüttelten uns gegenseitig die Köpfe zu, geschockt über das, was passiert war. Redeten uns gegenseitig gut zu: Ja, das muss ein verwirrter Spinner gewesen sein. Der wollte sich bestimmt nur wichtig machen.
Ich saß dann geistesabwesend auf meinem Platz, bediente die Kunden wie ferngesteuert. Ich war in einer kleinen Schockstarre, aus der ich unsanft gerissen wurde. Maas kam zurück und meinte, dass die Polizei nach meinen Daten gefragt hat. Steine im Magen. Sie haben von allen Mitarbeitern Name und Anschrift verlangt. Im Laufe der Ermittlungen wollen sie sich melden, nur damit ich Bescheid weiß.
Maas plötzlich gut gelaunt: „Lesen ses ma durch, Anders. In den Nachrichten stehen wir sogar drin.“ Das ist Werbung für uns. Heute brummt der Laden bestimmt. Aus meinem Kopfschütteln wurde ein Nicken. Er wünscht mir frohes Schaffen. Zum Abschied drückte er mir unsere Lokalzeitung in die Hand. Diese Ausgabe durfte ich sogar behalten.
Und so sitze ich jetzt hier. Mir wird wieder heiß, ich will keinen Kontakt mit der Polizei. Ich habe Angst mich zu verplappern. Ich habe mir meine Antworten schon mehrfach zurecht gelegt. Mittlerweile kann ich sie auswendig. Es ist alles im Sinne von: Ich habe keine Ahnung von irgendwas und weiß von nichts. Ich werde mich einfach dumm stellen, der Depp aus dem Norden.
Die Zeitung habe ich durchgeblättert. Der Artikel über unseren Fall ist überraschend ausführlich. Mann tot auf Couch gefunden. Alle Indizien deuten auf einen Unfall. Stromschlag. Bei dem Mann, wurde eine Bombendrohung gefunden. Nach den erforderlichen Sperrungen und Absicherungen wurde nach der Bombe gesucht. Die Bombendrohung hat sich als Fehlalarm herausgestellt. Ein Beamter vermutet, dass die Bombe erst noch platziert werden sollte. Es werden Ermittlungen im Umfeld des Opfers angestellt. Nach der Bombe wird derzeit mit Spürhunden im unter anderem Wohnhaus des Opfers gefahndet.
Ich war mir zwar vorher schon sicher, dass alles so stimmt, wie ich es mir zusammengereimt habe. Den Beweis schwarz auf weiss zu lesen… Jetzt ist es amtlich, dass ich ein Monster bin. Meine Spinnerei wurde zur Gewissheit. Ich habe ihn getötet. Jetzt ist endlich Leben in meinem Leben!
Ich habe keine Lust mir etwas vorzumachen: Es ist kein ungutes Gefühl. Ich bin froh, dass ich nicht verrückt bin. Und ein schlechtes Gewissen wegen dem Typen? Vielleicht kommen noch irgendwelche Schuldgefühle. Jetzt bin ich erstmal die Steine von meinem Herzen los. Da wurde eine ganze Mauer eingerissen. Das erinnert alles an Prüfungsstress. Nach dem Bammel davor, dem Zweifel danach: Jetzt weiß ich, was abgeht. Endlich habe ich das Ergebnis.
Die armen Polizisten stehen vielleicht vor einem Rätsel, da ist kein Scooby Doo, der es lösen kann. Der Weg der Ermittlungen wird in eine Sackgasse führen.
Der Fall muss mangels Indizien einfach zu den Akten gelegt werden. Wie soll denn jemand auf mich kommen? Statt Vorwürfen und Anklagen bekomme ich Mitleid und Schulterklopfen. So tapfer, dass du hier weiterarbeitest, als wäre nichts gewesen, Anders. Ich habe eine schöne Geschichte, die mich stark wirken lässt. Der mutige Anders trotzt Bomben und Ängsten.
Das Leben kann so schön sein, wenn es ungerecht ist.