Gestern habe ich die dämlichen Drogen schon wieder ausgepackt und auf dem Küchentisch bestaunt. Ich hab mit dem Gedanken gespielt, das Zeug zu testen. Dann habe ich mir die die durchgepeitschten Verlierer vorgestellt, die ich ständig vorbei laufen sehe, deren einzige Aktivität Lebensmittel einkaufen ist. Ansonsten sind sie zugedröhnt zuhause. Ich konnte widerstehen. Stattdessen suchte ich nach potenziellen Käufern.
Gefunden: einen Laden für Räucherzubehör, Bongs und Pipes. Der ist direkt am Stadtgarten. Ich kenne mich in der Szene nicht aus, aber vielleicht hängen dort Dealer rum. Wenn die nicht selbst Stoff ankaufen, werde ich dort bestimmt Konsumenten finden.
Also nochmal angezogen, Rucksack aufgespannt. Ich hatte ja schon überlegt, ob ich das Zeug direkt mitnehmen soll. Hab mich aber dagegen entschieden. Wer weiß, ob es da vor dem Kifferladen verdeckte Ermittler gibt, die nur darauf warten, Kunden zu filzen. Durch diese Gedanken wurde ich misstrauisch. Vorsichtshalber nochmal umgezogen. So dass ich möglichst harmlos aussah: Hemd, anständige Hose, kein Rucksack.
Das erste, das mir auffiel: Das Geschäft war sehr staubig. Mit dem Geruch von Räucherstäbchen haben sie entweder den Moder oder den Grasgeruch überdeckt. Umgeschaut: das grüne Blatt war überall. Das Sortiment: von Bongs über Feuerzeuge zu Rucksäcken und Pfeifen bis diversen Räuchersachen. Ich vermute, dass jeder Headshop in Deutschland den gleichen Bestand hat. Die Kundschaft war überschaubar. Ins Augen fielen zuerst ein paar Jugendliche. Zwei Jungen, ein Mädchen. So sah die alternative Szene auch schon zu meiner Zeit aus: Bandshirt, Filzhaare, schwarze Arbeiterhose, Schweissband. Dann ein Typ, der wohl am ehesten wie ein Dealer (Poloshirt, Hohlkreuz, Wampen-Ansatz und dazu Trainingsanzug und natürlich Handy am Ohr) aussah. Ich war erleichtert, dass ich mich von denen drastisch unterschied. Dazu noch der Typ am Tresen – kein Kunde, der Verkäufer. Aufatmen, es sah nicht nach verdeckten Ermittlern aus.
Nach ein paar Minuten, in denen ich so tat, als würde ich mich für die Produkte interessieren, habe ich den Schritt gewagt. Ich habe Smalltalk mit dem Verkäufer angefangen. Ich: Dass ich neu hier bin. Er meinte, dass er es am Dialekt hört. Er fragte, ob ich hier studiere. Ich: bejaht.
Zum Glück hatte er noch weniger Ahnung als ich, also konnte ich ihm irgendwelches Maschinenbau-Zeug erzählen, dass ich auf einem Plakat an einem Hörsaal gelesen habe. Wie zu erwarten: Der Typ war gechillt. Ich kam zur Sache. Fragte, wie es hier so mit der Drogenszene aussieht.
Pause. Er musterte mich.
Ich fühlte mich unter Druck gesetzt, so als stünde ich an der Tafel und könnte die Gleichung im Matheunterricht nicht lösen.
Dann hatte er wohl Mitleid, meinte, dass es viele Ecken gibt, wo verkauft wird. Der Park, an dem ich war, neben dem Hauptbahnhof, Kronenplatz. Ich habe im Gegenzug von der Szene in Bremen erzählt, damit er merkte, dass wir auf eine Wellenlänge sind. Es war alles mehr oder weniger erfunden, aber so fasste er wenigstens Vertrauen. Ich fragte nach den örtlichen Preisen. Die deckten sich mit dem, was ich im Internet recherchiert hatte.
Jetzt oder nie: Mein Verkaufsgespräch. Ich erzählte, dass ich von meinen Freunden ein Abschiedsgeschenk bekommen habe. Einige Gramm, dass ich damit aber nichts anfangen könnte, weil ich jetzt aufhören möchte. Wegen Studium und so. Da wurde der Typ hellhörig, auf seinem verwaschenen T-Shirt traten Schweissflecken hervor. Er legte die Pfeife, die er gerade polierte weg. Die Aufmerksamkeit musste ich nutzen: Die gesamte Menge, die ich habe, würde ich günstig abtreten. Dann konnte ich es mir nicht verkneifen noch weiter zu lügen: „Ist echt guter Stoff!“
Er: „Hmm.“
Seine Pupillen wanderten von links nach rechts. Es war offensichtlich, dass die Mühle rauschte.
Ich war einerseits schockiert, dass er so offen an einem Geschäft interessiert war, andererseits auch froh. Das sah nach schnellem Geld aus. Handy-Fotos, die ich kurz zuvor geschossen habe, gezeigt. Ich meinte, das wäre ein einmaliges Geschäft, nannte ihm das Gewicht, das ich auswendig konnte. Ich, drängend: „800 Euro und wir könnten den Deal heute schon machen.“
Er: „Ich kann dir zwei fünfzig geben. An dem Speed habe ich kein Interesse.“
Ich: „Zwei? Fünzig?“
Er: „Zweihundertfünzig deutsche Euros. Sei mir nicht böse, aber ich kenn dich nicht. Die Qualität ist auch nicht so der Bringer. Samen, Stöcke, schlechte Trocknung.“
Meine Hände wurden feucht. Ich bekam ein mulmiges Gefühl. Der Preis war nicht der Reichtum, den ich erhofft hatte. Die Gedanken schlugen ein:
Das ist zu einfach. – Nein, du bietest ihm nur einen guten Deal.
Das ist zu wenig. – Egal,nimm es einfach.
Der zockt dich ab. – Dein Handy macht halt gute Bilder.
Was, wenn der Typ mit der Polizei zusammenarbeitet? – Dann wäre der Laden dicht, so was spricht sich herum!
Ich erinnerte mich an das gute Gefühl der Entscheidungen, wollte die Sache einfach hinter mich bringen. Ich schüttelte seine Hand. Für ihn war das Geschäft scheinbar nicht so aufregend wie für mich. Statt knallenden Korken hörte ich nur: „Hmm, alles klar. Gut.“
Ob das der schwierigste Teil war? Von wegen!
Er erklärte mir anschließend sein System. Die Übergabe findet an einem Taubenturm statt. Dort wartet (oder ich soll auf ihn warten) der Typ, der den Stoff in Empfang nimmt. Mein Geschäftspartner meinte, dass der Typ einen Sportanzug trägt. Ich würde ihn schon erkennen. Alles weitere erfahre ich von ihm.
Vertrauenswürdig klang das nicht.