23. Oktober, 14 Uhr 25

Jesus, die Tabletten knallen ganz schön. So fest habe ich sonst nur nach einem Vollrausch geschlafen. Den Wecker habe ich überhört oder, was ich vermute, er hat gar nicht geklingt. Diese Technik lässt einen immer wieder im Stich.

Ich habe mich gegen 10 Uhr aus der Decke geschält. Auf meinem Handy waren 5 entgangene Anrufe. Auf der Mailbox 3 Nachrichten. Maas. Da das sicher keine netten Botschaften waren, habe ich sie einfach durchlaufen lassen, während ich duschte.

Gearbeitet hab ich ab 11 Uhr. Der alte Maas stand da, als ich ankam. Als ich ihn von Weitem sah, warf ich mir eine Halbe ein, um nicht gestresst zu werden. Ich glaube, er wusste nicht, ob er sich freuen soll, dass er endlich gehen konnte oder ärgern, dass ich so spät war. In der Zeit, in der ich mein „Morgen“ hauchte, entschied er sich scheinbar. Ärgern. Es kam viel heiße Luft wie beim Geysir. Die Zusammenfassung: zusammenreißen, Verwarnung, enttäuscht. Zum Glück war ich groggy. Das Gespräch lief eher neben mir her.

Die Schlaftablette klang ab, ich versuchte es mit Speed. Je länger der Vormittag ging, desto genervter wurde ich von der Standpauke. Mittlerweile sehe ich es so: Es kann doch jeder mal verschlafen.

Ulli kam mittags auch noch, hat mich wieder zugetextet. Der hat mich nicht mal im Krankenhaus besucht und tut jetzt er so fürsorglich, als wäre er meine Oma.

Zuhause wurde es nicht besser.

Es ist nicht so, dass ich den Briefkasten mit einer kribbelnden Vorfreude leere. Abgesehen von Postkarten mit Urlaubsgrüßen oder Umschlägen mit Geldgeschenken, ist alles was ich dort antreffe Schrott. Meine Post besteht zu 90% aus Werbung, Flyern und kostenlosen Zeitungen. Der Rest setzt sich aus 9% Rechnungen und dem eingangs erwähnten Inhalt zusammen. Dementsprechend erstaunt war ich, als ich einen Brief mit handschriftlicher Adresse beim Aufschließen vorfand. Wegen des Poststempels aus Bremen wurde ich richtig neugierig. Der Brief wurde direkt im Gang aufgerissen.

Ich kam nicht weit. Das Lesen musste ich sofort unterbrechen.

Die ersten paar Zeilen haben mich in Panik hoch rennen lassen. Schlechte Nachrichten empfangen sich hinter verschlossenen Türen besser. Der erste Satz: Ich komme gerade von der Beerdigung. Statt Trauer ist es Hass. Hass auf dich, Anders.

Alex. Sie behauptet zu wissen, dass ich etwas mit dem Tod von Lars zu tun habe. Sie kann nicht sagen was, aber sie hat es im Gefühl. Sie führt weiter aus, dass sie sich im Freundeskreis und bei meiner Familie umgehört hat. Dass noch mehr finden, dass ich mich komisch – sogar verdächtig – verhalte.

Ich werde der Polizei alles erzählen. Du bist jetzt dran, du Penner! Du hast ihn vergiftet oder so was. Ich weiß es. Deine Schrift habe ich auch wiedererkannt. Der Abschiedsbrief war von dir, du Spast. Ich weiß es!

Es herrschte unbehagliche Stille im Raum. Ausnahmsweise schwiegen Computer und Fernseher. Dann wurde ich sauer. Dachte: Wie niedlich. Das grenzt ja fast an Rufmord. Ich würde ihr am liebsten mit einer Anzeige drohen. Aber ich brauche keine Verhandlungen, weil ich selbst richten kann.

Alex hätte einen schönen Tiefschlaf verdient. Wäre ich bloß zu der Beerdigung gegangen und hätte einen Schlussstrich gezogen. Ich hätte sie auseinander nehmen können wie einen Jengaturm. Aber hier sind wir eben. Die kann sich zusammenreimen, was sie will. Die Fakten zählen. Welche Beweise hat die schon?

Ich will schlafen. Ich nehme jetzt eine kleine Dosis meiner Tabletten. Ich will nicht mehr nachdenken. Das überlasse ich meinem Unterbewusstsein.