20. November, 22 Uhr 31

Der Abend war doch noch nicht vorbei. Ich bekam langsam Hunger. Das lag bestimmt an der frischen Luft. Ich war dabei eine Pizza mit doppelt Käse zu belegen. Den freien Rand auf dem Blech habe schön mit Pommes belegt, damit keine Energie verschwendet wird.

Da schrak ich zusammen. Hässliches Geräusch.

Ich stand vor dem Backofen wie bestellt und nicht abgeholt. Stille. Ich redete mir ein, dass es Paranoia sein muss. Das Speed klang langsam aus, da werde ich immer misstrauisch. Das habe ich mir nur eingebildet. Ich köpfte ein Bier, wollte den Backofen gerade anmachen. Nochmal: Ein Klopfen an der Tür.

Anders! Mach auf, ich habe dich gehört.“

Ich spielte wieder verschiedene Szenarien durch. Ich könnte mich tot stellen – aber würde dann die Polizei die Tür aufbrechen und meine Drogen finden? Ich könnte durch die Tür krächzen, dass ich krank bin – aber würde dann die Feuerwehr die Tür aufbrechen und meine Drogen finden? Ich könnte den Lärm einfach ertragen – aber würde dann die Hausverwaltung aufschließen, die Drogen finden und mich rauswerfen?

Ich hatte keine andere Wahl, ich musste den Besucher abwimmeln. Ich warf mir eine meiner letzten Schmerztabletten ein, goss eine halbe Bierflasche hinterher. Bereits nach dem letzten Schluck wurde aus meinen sicheren der unsichere Gang, in kürzester Zeit wurde ich von angetrunken zu betrunken. Ich öffnete die Tür einen Spalt. Ulli drückte sich durch die Tür, schloss sie hinter sich. Ich dummer Idiot hatte vergessen, die Türkette einzuhängen. Er stand im dunklen Flur. Und fauchte in einem Tonfall, den ich von ihm noch nie gehört habe: „Mach das Licht an.“ Dann wollte er wissen, wo wir uns setzen könnten. Ich habe mich aufs Bett gesetzt, er durfte am Schreibtisch Platz nehmen.

Mit angewidertem Gesichtsausdruck hat er meinen Speed-Teller weggeschoben, als hätte der die Krätze. Dann kam er auch schon zur Sache. Kein Vorgeplänkel, nicht erkundet, wie es mir geht. Er mit Blick auf den Boden: „Anders, ich weiß, dass du ne schwere Zeit durchmachst. Aber das waren meine Ersparnisse, die brauche ich.“

Ich konnte nichts erwidern. Ich sah ihn verwundert an.

Vergebens, er mied jeden Blickkontakt. Ich fragte ihn, wovon er redet. Er: „Ich weiß, dass du mein Versteck leergeräumt hast. Niemand anderes war in meiner Wohnung. Ich weiß, dass du meine Salatschleuder geholt hast, als ich im Bad war.“ Jetzt schaute auch ich nur noch auf den Boden. Mein erster Gedanke: Ich müsste mal wischen. Ich merkte: Mich doof stellen würde nicht funktionieren. Ich brauchte etwas. Ich stand auf, holte noch eine Tablette, holte ihm ein Bier. Brachte mir natürlich ebenfalls eines mit.

Wir saßen da und tranken. Ich war überrascht von mir. Ich empfand keine Scham, erwischt worden zu sein. Keine Reue. Dann ging es weiter: Er redete auf mich ein. Zu diesem Zeitpunkt war mir sein Gelaber egal. Als er gerade damit anfing, mit der Polizei zu drohen, unterbrach ich ihn. Der einfachste und schnellste Weg, ihn wieder loszuwerden, war in meinen Augen Kooperation.

Ich, Hand auf seiner Schulter: „Ulli, ich weiß nicht, welcher Teufel mich da geritten hat. Ich habe das Geld nicht hier. Ich bringe es dir morgen vorbei. Bitte ruf die Polizei nicht an. Verzeih mir, lass es mich wieder gutmachen.“ Er war erleichtert. Ohne viele weitere Worte haben wir uns die Hand drauf gegeben, dass er seine paar Kröten zurückbekommt. Ein zweites Bier bot ich ihm nicht an.

Kurz bevor ich die Tür schließen konnte, faselte er irgendwas von blöden Drogen am Schreibtisch und Junkie. Ohne etwas zu erwidern, drückte ich die Tür zu. Was 5 cm Holz doch für einen Unterschied machen: endlich Ruhe.