19. August, 10 Uhr 05

Gestern war mal wieder öde. Stunden über Stunden rumsitzen ist wirklich öde, da gibt es keinen anderen Begriff. Ich glotze hinter meiner Schutzscheibe jeden an, der vorbeiläuft wie ein alter Opa, der auf dem Sessel am Fenster sitzt. Ich habe irgendwie jetzt schon Angst vor dem Feierabend… Feierabend wie das klingt. Es ist ja genau das Gegenteil.

Ich feier nämlich ziemlich erbärmlich. Wie ich jetzt schon mehrfach erwähnt habe, kenn ich hier niemanden. Zudem bin ich etwas überfordert, wenn es darum geht, jemanden in meinen Alter kennenzulernen. Das klappte mit 20 besser. Zurzeit sind die Feierabende jedenfalls nichts, mit dem sich prahlen lässt. Hier schenke ich mir eine Runde Mitleid.

Ich trinke abends zu viel Bier und habe mittlerweile keine Lust mehr, noch irgendwas zu unternehmen. Die Erkundungslust ist mir vergangen, als wäre die Stadt abtörnend. Zum Rausgehen kann ich mich derzeit nicht aufraffen. Nicht mal zum Kochen, wobei das mal ein richtiges Hobby war. Stattdessen gibt es Brot oder Pizza und dazu Beschallung. Das ist doch bescheuert. Gestern war es mal wieder viel zu viel Bier. Jetzt sitze ich hier mit Kopfschmerzen. Ich muss auf jeden Fall was ändern. Ich hätte mir vorher klar machen müssen, dass hier nicht alles geschmiert wie eine Fahrradkette laufen wird. Jetzt hänge ich irgendwie im gleichen Loch wie vor dem Umzug.

Ich vermisse Alex, sehr sogar. Sie hat mir oft gemailt, wo ich bin und so. Am Anfang war es richtig oft. Dabei hatte ich immer eine Mischung aus Stolz und schlechtem Gewissen, es ist mit der Zeit allerdings abgeflacht. Die letzte Mail ist nun auch schon drei Tage her, gut so. Damit brauch ich nicht mehr zu antworten. Ich habe nicht das Bedürfnis mich zu rechtfertigen und ihr Antworten zu geben. Soll sie mich doch einfach vergessen und mit ihrem Italian-Lover glücklich werden.

Ich bin einsam, sehr sogar. Es ist schwer, neue Freunde zu finden. Die ganzen Besuche in den Kneipen waren zwar unterhaltsam. aber die Typen waren alle zu heftig für mich. Kaos… der Name passt. Da drin war es so chaotisch, dass ich mich wie ein Übermensch fühlte. Ein Horrorpublikum: Einige waren richtige Trunkenbolde, andere eher aus der Schlägerecke. Project 57 war wiederum eine Bar, deren Name wohl eher Area 51 heißen sollte. Alles nicht so das Klientel, mit dem ich meine Freizeit verbringen will. Zumindest nicht, wenn ich nüchtern bin.

Wenn das beste Gespräch des Tages mit einer 8 Jährigen ist, die für den ganzen Freundeskreis einkaufen muss, weil sie heute dran ist: Dann ist das mein Leben. Die erwachsene Kundschaft hier kann man fast komplett vergessen, was soziale Kontakte betrifft.

Vormittags kommen die Säufer, die sich ihre Wodka-Flachmänner kaufen. Meine Theorie ist, dass sie morgens den billigeren Stoff im Discounter kaufen und mittags dann schon so einen im Tee haben, dass ihnen der Aufpreis im Kiosk egal ist und sie einfach zu mir kommen. Vielleicht sind sie zu der Uhrzeit auch erst aufgewacht, und brauchen schnellstmöglich ihre Dosis, damit ihnen die Kopfschmerzen, die ich gerade habe, erspart bleiben. Ich habe noch nicht gefragt.

Es macht mir nur immer wieder klar: Ich sollte weniger trinken. Oder nur in Gesellschaft trinken. Und nur in der richtigen Gesellschaft trinken. Aber man kennt ja die Sache mit der Theorie und der Praxis.

Uiii. Gerade kam die süße Blonde vorbei. Ich glaube, sie hat mich angelächelt. Hoffentlich sehe ich nicht so übel aus, wie ich mich fühle.

Sie ist genau mein Typ, wohnt sogar im gleichen Haus. Klein, rundliches Gesicht, so etwa Anfang bis Mitte 20, schätze ich. Sie hat kurze Haare, ist wohl ein praktischer Typ und keine Diva, die Ewigkeiten im Bad verbringt. Wenn ich schon Ratestunde mache: Ich vermute mal, sie ist Studentin, studiert bestimmt Welt retten im 1. Semester. Mit etwas Glück ist sie ebenfalls neu in Karlsruhe. Der Dialekt kam mir zumindest nicht einheimisch vor. Es waren aber auch nur wenige Worte, die ich gehört habe. Einmal habe ich gelauscht, als sie die Treppe mit einer Frau runtergegangen ist. Sie ist jedenfalls ein Sonnenschein, sie hat so eine strahlende Art.

Ich bin ja nicht hässlich wie die Nacht. Eine Liebesgeschichte von der Schönen und dem Biest wäre wie ein Märchen. Gut, etwas schwammig bin ich schon geworden. Aber: Ein paar Kilo weniger und ich sehe passabel aus. Und charmant war ich doch früher auch mal. Vielleicht geht da ja was. Das Leben muss nach Alex schließlich weitergehen. Mehr als abblitzen kann ich nicht.

Meine aktuelle To-Do-Liste: Abspecken, Geld verdienen, Freundin. In einer beliebigen Reihenfolge. Ich werde außerdem mein Leben umkrempeln und ein guter Mensch werden. Ich denke nicht, dass ich jemals schlecht gehandelt habe, aber netter zu sein, wird drin sein. Also ein guter Mensch sein und besser werden. Ich brauche schlicht eine positive Einstellung, dann wird mein Leben bestimmt wieder gut. Ich werde Sachen machen wie Blut spenden, mit Hunden aus dem Tierheim Gassi gehen, für alte Frauen einkaufen. Wieso sollte ich mich nicht neu erfinden können? Abnehmen und ein bisschen was aus mir machen, parallel Karriere regeln. Das wird schon, so schwer kann das nicht sein.

Es ist wieder spät geworden, Schicht im Schacht: Chef im Anmarsch.