17. Dezember, 13 Uhr 19

Gestern war ein Tag voll Höhen und Tiefen wie in der Oper. Es war eine Berg- und Talfahrt wie die Tour de France in den Pyrenäen und Alpen.

Nachdem es an der Tür klingelte, bin ich zusammengefahren wie eine Fahrgemeinschaft. Zu viel Adrenalin auf einmal. Obwohl ich auf irgendwas – eine Reaktion, ein Zeichen, einfach etwas – gewartet habe, musste ich mich zwingen, nicht einfach zu verharren. Mit zittrigem Finger habe ich den Knopf zum Öffnen gedrückt. Dann tapste ich unsicher ins Treppenhaus, um zu sehen, wer da hochkam. Ich verfluchte mich, aufgemacht zu haben. Ich wusste, dass ich es mir nie verzeihen würde, wenn ich die Kriminalpolizei reingelassen hätte. Er/sie/es war schnell. Ich hörte Schritte – nein, Sprünge. Jemand stürmte hoch.

Es zeigte sich, dass das gut für mich war. So kam die Entwarnung früher: Johnny stand keuchend ein paar Stufen unter mir. Meine gröbste Anspannung löste sich. Bevor ich die Frage, die mir auf der Zunge lag, herausbekam, nahm er die letzten Stufen in einem Satz. Er fiel mir um den Hals, drückte mir die Luft ab. Wir drehten in dieser Umarmung eine Pirouette. Als wir den 360. Grad erreicht hatten, war auch Tim zu sehen – mit einem breiten Grinsen. Er keuchte ein „Puh“ hervor.

Ich scheuchte die beiden rein – die Nachbarn! Tim legte die Tüte auf den Tisch. Party war angesagt. Ich ging uns Bier holen. Wir brauchten was zum Anstoßen, für Sekt waren wir nicht die richtige Versammlung. Als ich mit den Flaschen zurückkam, machte ich große Augen: der Inhalt der Tasche war auf den Boden gekippt. Als ich die Menge gesehen habe, konnte ich es nicht glauben: so wenig! Es waren nur zwei Bündel. Beinahe hätte ich geschrieben, dass die beiden Trottel sich haben abziehen lassen. Ich griff mir die beiden Stapel. Nach einer Runde Daumenkino durch die Scheine und grobem Überschlagen war ich beruhigt. Das passte schon.

Zisch: für jeden ein zweites Bier. Wie ließen die Beute wie einen Joint durch die Runde gehen. Tim bekam vor Aufregung wieder rote Backen. Nach der Freude und mehrmaligem Abklatschen ließ ich mir erzählen, wie die Übergabe vonstatten ging.

Die beiden sind also vor die Villa gefahren. Der Sicherheitsdienst war diesmal lediglich ein paar Meter hinter ihnen, sie haben zeitig abgedreht. Schweinsteiner muss die Mitarbeiter angewiesen haben, die beiden in Ruhe zu lassen.

Beim weiteren Verlauf unterscheiden sich die Geschichten ein wenig. Laut Tim war Johnny aufgeregt, aber er cool. Johnny hat es umgekehrt in Erinnerung. Meinetwegen waren sie beide die Ruhe in Person als sie geklingelt haben…

Daraufhin hat Schweinsteiner die Haustür geöffnet und gefragt, wer sie sind. Tim: „Ich meinte dann voll bedrohlich: Wir sind die Kollegen von Anders.“ Das hat als Eintrittkarte gereicht. Johnny: „Der hat dann gar nichts gesagt, der hatte echt Respekt vor uns. Wir sind dem dann einfach nach. Der soll froh sein, dass ich dem sein Kläffer nicht totgetreten habe. Der Alte hätte garantiert keinen Mucks gemacht. So hatte der Angst vor mir.“

Sie sind von Schweinsteiner in den Wintergarten geführt worden. Schock: Da saß bereits ein Mann, neben den sich Schweinsteiner dann gesetzt hat. Die beiden dachten, dass es das also war. Polizei, Geheimagent oder vielleicht sogar Militär. Johnny: „Wir standen da also, haben uns angeschaut und voll gewusst, was der andere gedacht hat, stimmt doch, oder Tim?!“ Sie schweiften wieder ab, erfreuten sich daran, wie gute Freunde sie doch sind. Ich musste sie unterbrechen: „Ihr könnt später knutschen. Zurück zur Geldübergabe.“

Die besten Freunde fielen sich gegenseitig in den Rücken. So standen sie nun da. Johnny schwitzend, Tim zitternd oder umgekehrt oder vertauscht. Johnny sagte, dass er die Hand bereits an dem Messer in seiner Hosentasche hatte: „Die hätte ich beide platt gemacht!“ Tim hat derweil den Fluchtweg geplant. Wir hatten aber Glück. Bevor die beiden irgendwelche Dummheiten anstellen konnten, hat Schweinsteiner das Wort und die Führung übernommen: „Ich weiß nicht, wer ihr beiden seid. Ich will es gar nicht wissen. Ich hätte es lieber mit Anders besprochen, aber das lässt sich nun nicht ändern. Wenn ich euch das Geld gebe, haben wir unsere Ruhe? Ist das richtig, versprecht ihr mir das?“ Sie schworen auf ihre Mütter. Dann fuhr Schweinsteiner fort: „Der Herr neben mir hat eine Kamera installiert. Zu unserer Sicherheit und als Pfand zeichne ich dieses Gespräch und die Bezahlung auf. Damit ihr eure Ruhe habt und ich meine.“

Das war natürlich nicht geplant. Die beiden wurden in Schach gestellt und wussten nicht, was der nächste Zug sein sollte. Sie stimmten zu.

Der andere Typ legte das Geld auf den Tisch. Er meinte, dass dies die Bezahlung für die Erpressung rund um den Mord an „dem Typen da“ war. Weder Johnny noch Tim erinnerten sich an den Namen. Der Rest der Erzählung von der Übergabe macht auch wenig Sinn. So genau haben beide nicht mehr zugehört und aufgepasst. Sie haben sich die Kohle gegriffen. Tim hat sich mit einem „wir gehen jetzt“ verabschiedet. Johnny meinte, dass das so unsicher klang, dass sie auf dem Rückweg lachen mussten.

Dann schlugen sie mit den Fäusten auf den Oberarm des anderen – und lachten sie wie Hyänen.

Ich wollte wissen, wieso alles so lange gedauert hat. Typisch: Weil die Idioten noch an der Tankstelle hielten musste. Angeblich um zu tanken, aber ich bin mir sicher, dass sie erstmal einen Teil des Geldes ausgegeben haben. So angetrunken wie die beiden wirkten, haben sie zusätzlich einen Tankstopp in einer Kneipe eingelegt. Nun ja, sie hatten die Sache hinbekommen. Ich war zudem nicht auf der Aufzeichnung zu sehen, mein Nachname wurde auch nicht erwähnt. Da konnte ich ein Auge zu drücken wie ein Piratenkapitän. Die beiden erwartete schließlich noch eine schlechte Nachricht.

Da ich den Großteil der Arbeit übernommen habe, steht mir natürlich der größte Anteil zu. Logisch, oder? Das hatte ich schon die ganze Zeit im Hinterkopf, aber während meiner Wartezeit habe ich mich entschieden. Selbst schuld.

Die dritte Runde Bier habe ich mit Schlaftabletten versetzt, um Tim und Johnny ruhig zu stellen. Das Nummernspiel sollte man nie unterschätzen, wenn man krumme Dinger dreht. So wurde das Verhältnis zwei gegen eins quasi gespiegelt. Nachdem die Tabletten angefangen haben zu wirken, die beiden träge wurden, die Augenlider rötlich und aufgedunsen, war die Zeit für die Abrechnung gekommen. Ich nahm das Geld: „So wir rechnen jetzt ab.“

Da die Chancen, dass die beiden ohne Aufmucken meinen Teil absegnen würden, nicht hoch waren, musste ich in die Trickkiste greifen. Ich wurde mysteriös, sagte dass es gefährliche Hintermänner gibt, die uns im Nacken sitzen und ihren Anteil möchten. Ich behauptete, dass ich Partner hätte, die ihren Anteil verlangten. Sie hätte die Drecksarbeit mit dem Kerl von der Security und Zlatan erledigt. Daher war unabdinglich, sie zu bezahlen. Ich: „Wir können da nichts machen. Die sitzen uns sonst im Nacken und knöpfen sich einen nach dem anderen vor.“

Die Augen wurden größer. Nicht groß, die beiden waren benebelt, aber eben größer. Ich sortierte das Geld, habe vier Haufen gemacht. Die beiden starrten auf das Geld und schwiegen.

25.000 für unsere Hintermänner, 15.000 für mich, 5.000 für Tim, 5.000 für Johnny.

Ich habe beiden ihren Anteil zugeschoben, bin aufgestanden und habe meine Anteile sofort weggepackt.

Wer geschnaubt hat, kann ich nicht sagen. Das „Moment mal“ kam von Johnny. Jetzt ging es los, ich atmete aus. Es wäre zu schön gewesen… Johnny: „Das haben wir aber vorher nicht abgemacht.“ Tim stimmte ihm zu. Ich fragte die beiden, ob wir überhaupt was ausgemacht hätten. Danach, ob wir uns wirklich mit den Hintermännern anlegen wollten: „Die kennen da nichts. Die machen uns fertig.“ Es folgte eine Denkpause.

Tim: „Das war so nicht ausgemacht.“ Diesmal mit mehr Bass in der Stimme. Ich hätte ihnen mehr von den Schlaftabletten verabreichen sollen. Da Johnny immer wütender wurde, schaute ich Tim in Augen. Ich sagte ihm, dass sie das ganze Geld mitnehmen müssten, wenn sie mehr wollten. Ich erhöhte den Einsatz: „Dann stehe ich aber nicht mehr auf eurer Seite. Dann sage ich, dass ihr mich reingelegt habt und verrate alles, was ich über euch weiß.“

Tim sah Johnny unsicher an. Dieser ließ sich nicht so einfach abspeisen: „Und warum bekommst du mehr als wir?“

Jetzt antwortete ich wütend: „Weil es meine Idee war, weil ich der Kopf der Aktion bin! Wer hat denn dafür gesorgt, dass der Wachmann weg ist? Wer hat den Schweinsteiner ausgesucht?“

Er, trotzig: „Na und?“

Ich mit Nachdruck: „Johnny, du hast 5.000 Euro dafür bekommen, dass du zwei mal nach Ettlingen gefahren bist. Ist das kein guter Verdienst? Wenn du mir jetzt blöd kommst, werde ich dich nie wieder an Geschäften beteiligen. Tim, für dich gilt das gleiche, wenn du deinen Freund nicht beruhigen kannst.“

Tim wurde noch unsicherer. Ihm war bestimmt klar: Er hat die 5.000 Euro für noch weniger Arbeit bekommen. Er stupste Johnny an, sagte sanft: „Er hat recht, Mann. Das ist gutes Geld. Und dann noch die Sache mit dem Zlatan. Der Anders ist n Guter.“

Wir drehten beide den Kopf, schauten Johnny an, warteten auf eine Antwort. Ich nickte Johnny beschwichtigend zu. Er schüttelte nur den Kopf, nahm sich seinen Anteil. Er trank sein Bier leer, stand auf und schloss die Tür hinter sich. Tim sah mich leicht entsetzt an. Er meinte, dass er besser auch geht, damit Johnny keine Dummheiten macht. Sagte ihm, dass es ein guter Job war, klopfte ihm zum Abschied auf die Schulter und tätschelte ihm die Hand.

Nachdem ich endlich allein war, konnte ich meinen Gefühlen lassen. Ich jubelte lautlos. Meine Arme schossen in die Luft, als hätte ich den Siegtreffer in der Nachspielzeit erzielt.