17. August, 10 Uhr 14

Ich versuche es jetzt nochmal. Man muss den Dingen doch eine faire Chance geben, oder?

Ich schreibe nun also Tagebuch. Der Grund ist, dass ich ziemlich mies drauf bin. Nicht nur ziemlich, richtig mies. Da ich mich garantiert auf kein Sofa legen, mir keinen Psychiater geben will und mich auch nicht bei meinen Freunden ausheulen werde, versuche ich es mal hiermit. Schreiben soll doch Selbsttherapie sein und irgendwie die Seele reinigen. Vielleicht ist ja was dran. Wenn nicht wanderst du eben in den Mülleimer, liebes Tagebuch. Nur dass du Bescheid weißt, und dir keine falschen Hoffnungen machst.

Fangen wir mal an. Am besten mit dem, was mir zu schaffen macht.

Ich bin Anders, ich schwanke derzeit zwischen hoffnungslos und traurig. Zwischen mutlos und ängstlich. Ich habe aber nicht vor aufzugeben. Jetzt könnte ich irgendwas von Kämpfernatur faseln, aber ganz so euphorisch bin ich doch nicht. Ich denke mir nur: Das Leben geht immer weiter. Ich bin wohl stark genug, ein bisschen Herzschmerz, eine kleine Herausforderung und so was zu überwinden.

Ich muss einfach wieder klar kommen.

Deswegen halt dieses Tagebuch. Außerdem versuche ich, jetzt offener auf Menschen zuzugehen. Das ist doch ein guter Vorsatz?! Der passt zwar nicht in die Jahreszeit, aber irgendwann muss man doch anfangen, oder? Etwas anderes bleibt mir gar nicht übrig. Ich muss es, wenn ich nicht einsam sterben will. Aber dazu gleich mehr.

Eines meiner Ziele ist also, netter zu sein, dadurch mehr Leute kennenzulernen, dann erfolgreicher werden. Und am Ende natürlich ein Happy End. Damit werde ich nicht allein sein, geht wohl allen so. Ich bin sowieso eher Durchschnittstyp, der klassische Normalo, befürchte ich. Ich sehe mittelprächtig aus, habe außer einen bisschen Zeichen, Sport (leider immer weniger), Trinken (leider immer mehr), Zocken und mal Weggehen keine richtigen Hobbys. Naja, wenn man das so liest, ist es gar nicht so langweilig, wie es mir immer vorkommt. Da ist ja doch was zusammen gekommen wie am Sammelpunkt.

In der Schule war ich der Mitschüler, der mal einen Witz gerissen hat, aber ansonsten nicht groß aufgefallen ist. Wahrscheinlich nicht der erste, an den man denkt, wenn man zu einem Klassentreffen eingeladen wird. Aber einer, mit dem man sich nach dem dritten Bier dann doch nett unterhält. Unspektakulär wie die Schulzeit war auch meine Ausbildung, dann habe ich einen Bürojob anfangen und so eben weitergelebt. Während der Ausbildung habe ich mich verliebt, wir sind zusammen gezogen. Groß passiert ist in der Beziehung nichts. Passiert sind eben die kleinen Dinge des Alltags, die jedem so passieren. Der übliche Streit um das neue Bett, dass ich zu faul bin und sie zu viel motzt.

Gut, kommen wir zur Sache. Ich habe mein Leben vor Kurzem richtig umgekrempelt. Dass ich es gemacht habe, hat mich im Nachhinein selbst überrascht. Ich schätze, dass es ein Fehler war.

Ich kann ganz einfach erklären, wieso. Ich bin aus unserer Wohnung ausgezogen. Aktuell macht mir meine Freundin, naja Ex-Freundin, zu schaffen. Warum? Auch die Frage kann ich leicht beantworten. Weil ich sie beim Fremdgehen erwischt hab. Zum Glück nicht auf frischer Tat, aber durch ein bisschen Detektivarbeit.

Ich gebe es zu, ich habe bei Facebook geschnüffelt. Ich könnte jetzt behaupten, dass ich mich deswegen schlecht fühle, man so was nicht macht und Vertrauen in einer Beziehung das Wichtigste ist. Aber was soll ich hier rumlügen? Das Stalken war gerechtfertigt. Und mein Misstrauen hat sich leider bestätigt. Der Ablauf voraussehbar.

Sie war mit ihrer BFF (sie sind beide jenseits der 30 und nennen sich so. Was soll man dazu noch sagen?) im Last-Minute-All-Inklusive-Urlaub auf Mallorca. Gebucht hat sie das ohne mir ein Wort zu sagen, weil sie mal spontan sein wollte. Schön und gut. Gelinde gesagt war ich nicht begeistert, aber da war der Zug schon abgefahren beziehungsweise das Flugzeug abgehoben. Sie hat nämlich keine Rücktrittsversicherung abgeschlossen. Eine Szene wollte ich auch nicht machen. Ich hab auf die Zähne gebissen, Begeisterung geheuchelt, mitgeplant und was war der Dank?!?!

Die beiden Ziegen waren also sieben Tage im Club-Urlaub und haben dort scheinbar, nein offensichtlich, ihren Spaß gehabt. Jetzt könnte man sagen Schnaps ist Schnaps, ein wenig Flirten im Urlaub gehört dazu. Aber dabei ist es nicht geblieben.

Alex, die Ex, stand mit ihrer Urlaubsliebschaft, seit sie wieder zurück war, nämlich in Mailverkehr. Und der Mailverkehr handelte meist von dem anderen Verkehr. Sehr detailliert sogar. Und wann/wie/wo sie sich wieder treffen könnten. Die Planung war sogar schon so weit, dass er etwas von einem Hotelzimmer hier in der Gegend schrieb. Sie hat zwar noch nicht zugesagt, aber das ist ein schwacher Trost.

Der Typ sieht aus wie 45, kommt irgendwo aus Italien. 4500 Einwohner hat der Ort, wenn Wikipedia noch aktuell ist. Er sieht nicht nur eklig aus, sondern typisch. Typischer alter Schwätzer. Da hat sie sich ja einen Gewinner ausgesucht. Und sein Englisch ist auch peinlich. Ich glaube ich hab in den 10 bis 15 Nachrichten 100 bis 150 mal suesse Lady gelesen.

Nun darf meine Beichte nicht fehlen: Herausgefunden habe ich die Affäre, als ich wegen einer Erkältung zuhause geblieben bin und sie arbeiten war. Mich hat davor schon ein paar Tage ständig so ein ungutes Gefühl überkommen. Man spürt es doch, wenn etwas nicht stimmt. Das ist der siebte Sinn. Oder war es der sechste?!

Jedenfalls dieses Gefühl, wenn man weiß, dass etwas nicht stimmt, so wie wenn man spürt, dass man beobachtet wird. Mir war mulmig, als ich den Computer angeschaltet hab. Bevor ich endlich ihr gespeichertes Passwort raussuchte, hab ich ihn zweimal wieder heruntergefahren. Aber ich musste es einfach tun. Unsicherheit ist schlimmer als die unangenehmste Gewissheit, redete ich mir ein. Das mag stimmen… bis man die Gewissheit hat.

Irgendwie wusste ich schon Bescheid, als ich Foto und Datum gesehen hab. Ich habe 1 und 1 zusammengezählt. Dennoch: Die Nachrichten zu lesen war ein echter Schock. Als ich die Nachrichten dann tatsächlich gelesen habe, musste ich mir immerhin nichts mehr zusammenreimen. Mir ihr seltsames Verhalten nicht mehr erklären. Da war es erst Schock, Wut und dann…

Joa, dann war ich einfach nur noch ängstlich. Ich wusste, dass ich so ein Spiel nicht mitspielen konnte. Dass sich jetzt alles ändern wird. Davor hatte ich richtig Bammel. Wenn man die Beziehung von sich aus beenden muss: so hart. Ich wusste, dass ich im Recht war, aber trotzdem war es schwer.

Ich kenne mich, das würde ich ihr nie, nie, nie verzeihen. So gab es halt nur den einen Ausweg. Nachdem ich mir die ganzen Nachrichten noch ein zweites mal durchgelesen habe, nur um sicher zu gehen, dass ich da nichts falsch verstanden habe (oh nein, das habe ich nicht) war der Entschluss nicht nur gereift, sondern faulig: Ich muss hier weg! Wobei ich schon gern gewusst hätte, ob sie es tatsächlich durchgezogen hat oder hätte, sich auch hier mit dem Penner zu treffen. Ich kann es schlecht einschätzen, zutrauen muss ich Alex wohl alles.

Vor der Abreise und während dem Urlaub und danach war sie nämlich fast wie immer. Das ist das, was mich am meisten stört. Ich hab mir zwar gedacht, dass irgendwas komisch ist. Es gab irgendwie Anzeichen. Einmal meinte sie auf die Frage, ob dort viel junge Leute waren: „Ja, aber die waren nichts für mich.“ Ich fand es damals schon verdächtig. Jetzt weiß ich, dass mein Instinkt richtig war. Von ihr aus war alles wie früher. Das war mindestens genau so ein schlimmer Betrug… wie eben der Betrug. Ich will nicht wissen, was sie vorher schon alles getrieben hat, wenn sie so kalt lügen kann.

Mit Alex groß darüber zu reden, war mir ehrlich gesagt zu blöd. Was soll ich mir da noch diese blöden Ausreden anhören? Ich kann mir schon vorstellen, was sie da sagen würde: Wir haben uns auseinander gelebt. Diese Dummheit war ein Weckruf. Das war nur Urlaubsflirterei. Ich kann mir ihre verheulte Fratze vorstellen, wie sie blöd ankommt, die Alte. Dann bekomm wahrscheinlich ich den schwarzen Peter zugeschoben, weil es bei uns schon länger nicht mehr so prickelnd lief. Nicht mit mir. Ende der Diskussion bevor jemand ein Wort gesagt hat.

Ich wollte also hier raus. Mein Abgang war übereilt. Nicht so besonnen, wie man eigentlich Schluss machen sollte. Zu meiner Verteidigung hab ich aber noch nie mit jemandem Schluss gemacht, und musste auch noch nie aus einer Wohnung mit der Ex raus.

Übermütig, wie ich manchmal bin, habe ich mit hier nicht nur unsere gemeinsame Wohnung gemeint, sondern Bremen, meine Heimatstadt. Oder Ex-Heimatstadt?! Ist das so wie bei den Ex-Freundinnen? Ich bin gerade zu aufgeregt, um das irgendwie richtig durchdenken zu können. Spielt auch keine Rolle, jedenfalls raus aus Bremen!

Ich dachte halt: Wenn ich hier bleibe, erinnert mich alles an Alex. Wir haben den selben Freundeskreis, wir würden uns ständig sehen. Am Ende lande doch wieder bei ihr, weil sich der Typ aus Italien als der Penner herausgestellt hat, der er ist. Ich bin doch nicht der Depp der Stadt, der zurück zu seiner Ollen geht, obwohl die fremdgegangen ist. Wenn sich das herumspricht…

Wenn schon neu anfangen, dann aber richtig. Ich habe mich nicht nur sattgesehen. Ich war in der Hansestadt so oft angefressen, übersättigt. Ich musste aus diesem ganzen Trott raus, um nicht auszurasten. Das waren so Gründe, warum ich nicht nur ausziehen, sondern gleich umziehen wollte. Nicht nur in die nächste Stadt, sondern weit weg.

Der Schlachtplan war schnell entworfen: Alex nichts erzählen, Wohnung finden, Job finden, ausziehen. Ich malte es mir den Auszug jeden Abend aus, ich träumte von ihren Tränen, wenn ich schlechte Laune hatte: Ich würde einfach meine Sachen packen, während sie heulend am Türrahmen lehnt. Auf ihr bitterliches Flehen nicht antworten. Ihr nochmal tief in die Augen schauen und cool sagen: Ich bin weg, viel Spaß in Italien.

Die Realität war leider gar nicht phantastisch. Wegen der Sache mit den Freunden konnte ich es eigentlich nur meinen Eltern erzählen. Und natürlich den Benutzern in etlichen Internetforen. Den Eltern kann man natürlich nicht alle Einzelheiten antun, im Internet hab ich im Gegenzug aber reichlich übertrieben. Hat echt gut getan.

Die Zeit mit Alex zusammenzuwohnen war nach der Entdeckung pure Folter. Ich hab es nur noch ein paar Tage ausgehalten, nachdem ich sie überführt hatte. Sie hat mich so angekotzt und angeekelt. Ihre verlogene Art war abstoßend. All die Nettigkeiten, all die Berührungen werde ich nie vergessen. So ein falsches Aas. Die könnte Trickbetrügerin werden, so hat sie mich getäuscht.

Mein Plan wurde verworfen, ich musste jetzt weg. In einer Nacht- und Nebelaktion, als Alex mal wieder auf Club-Tour war, habe ich meine Sachen gepackt. Das ging schnell, es war erschreckend wenig Gepäck.

Echt traurig, wie wenig einem eigenständigen Menschen nach einer sechsjährigen Beziehung übrig bleibt. Ein Rucksack, eine Sporttasche mit meinen Sachen, zwei IKEA-Taschen mit Bettwäsche, Handtüchern, meinem Anteil vom Besteck und noch ein bisschen Kram. Dazu ein paar Geräte aus Bad und Küche. Die Möbel, die Glotze und den ganzen Deko-Mist konnte sie gerne behalten. Immerhin blieb sie alleine auf der Wohnung sitzen, die für sie allein wahrscheinlich zu teuer wird. Pech gehabt. Der Mietvertrag läuft auf sie, wir haben nie einen Untermietervertrag abgeschlossen, so bin ich fein raus. Sie war scheinbar auch mal blind vor Liebe. Nicht ganz fair das alles. Bei solchen Spielchen erfährt jeder Niederlagen.

Ich muss mich nun wieder ermahnen: Kein schlechtes Gewissen haben! Sie hat es verdient!

Ich bin schließlich zurück zu meinen Eltern. Da fühlt man sich wie der letzte Verlierer, mit über dreißig wieder in so ein kleines Gästezimmer im Keller. Ich musste mein Geld zusammenhalten, Hotel kam also nicht in Frage. Meinen Eltern habe ich erzählt, dass Alex mich hintergangen und belogen hat. Sie waren geschockt, weil sie wohl eher mit Enkelkindern als einer Trennung gerechnet haben. Aber ich bin schließlich ihr Sohn, also mussten sie auf meiner Seite stehen. Ich habe jedoch gemerkt, dass sie enttäuscht waren. Mein Vater war besonders hartnäckig, hat ständig was von Fehlern, zweiter Chance, kann noch was werden gelabert. Das war auch assig zu hören.

Puh, recht viel geschrieben. Ging schneller, als ich dachte, aber ich muss nun aufhören. Chef kommt gleich.