16. Dezember, 17 Uhr 10

Heute war endlich der große Tag gekommen: der langersehnte, der gefürchtete Mittwoch. Ich bin morgens um 4 Uhr aufgewacht, das T-Shirt durchnässt. Ich hoffte, dass dieser Angstschweiß nicht das Resultat einer bösen Vorahnung war.

Stundenlang im Bett liegen zu müssen, bis ich endlich aufstehen konnte, war die Hölle. Von der linken Seite auf die rechte Seite gedreht. Fernseher angestellt. Ich wollte nur dösen, nicht schauen. Die Lautstärke so leise wie möglich, aber dass der Ton noch ablenken kann. Von der rechten Seite auf die Linke gedreht. Zum Ausrasten: Nur 20 Minuten waren verstrichen, seitdem ich das letzte mal die Uhrzeit kontrolliert hatte. Irgendwann war es endgültig zu spät, zu versuchen nochmal einzuschlafen und zu früh, um aufzustehen. Was soll man in der Situation schon tun?! Ein bisschen surfen, ein bisschen zappen.

Ich kann mich nicht entsinnen, wann – oder ob überhaupt – ich mich jemals in diesem Ausmaß auf die Arbeit gefreut habe. Meinem Wecker habe ich nur einen halben Alarmruf gegönnt, dann stand ich neben dem Bett, wollte wie ein kleines Mädchen zur Kaffeemaschine hüpfen. Aber man wird alt. Die Kopfschmerzen nach einer Nacht mit zu wenig Schlaf sind zäh. Es sind nicht die nach einem Rausch, wo man vermutet, dass man lediglich Mineralstoffe und Flüssigkeit nachliefern braucht. Es ist eine Warnung vom Körper: So nicht, mein Freund. Ich brauche mehr Ruhe.

Kaffee, Schmerztabletten und eine Dusche später habe ich mich mit einem dumpfen Pochen an und um den Schläfen abgefunden. Da muss man halt manchmal durch.

Arbeit: lief so nebenbei. Ich war froh um jede Transaktion, war es doch ein bisschen Ablenkung.

Ich habe Johnny am Vortag gesteckt, dass er sich mittags melden soll. Der erste Anruf kam um 9 Uhr. Tim hat um 10 Uhr angerufen, obwohl er wiederum auf die Anweisungen von Johnny warten sollte. Da lief schon mal gar nichts nach Plan – beste Voraussetzungen zum Scheitern. Als Sahnehäubchen haben die beiden noch schlechte Stimmung verbreitet, als ich sie bis zur Mittagszeit vertröstete.

Nach der Arbeit konnte ich endlich ein wenig Speed tanken, das hatte ich vor lauter Verpeiltheit morgens vergessen. Meine Nerven entspannten sich kurz, Sekunden später hat es mir Mut gemacht. Wie mit einer guten Freundin, die anfeuert, war ich bereit die Aufgabe anzugehen: Also die beiden Chaoten angerufen und herbestellt.

Es war etwa 14 Uhr 30, als es endlich geschellt hat. Johnny ist die Stufen hochgestürmt. Tim kam mit deutlichem Rückstand, er ist eher geschlichen. Außer Atem waren dennoch beide, als sie oben ankamen. Da die zwei wichtige Aufgaben übernehmen mussten, konnte ich sie weder mit Alkohol beruhigen noch mit anderen Mitteln die Wachsamkeit erhöhen. Ich musste also mit dem arbeiten, was da vor mir saß: wenig. Erstmal eine Nase im Bad ziehen.

Ich erklärte ihnen, wie ihre Jobs wahrscheinlich aussehen würden. Bevor es ans Eingemachte ging wie bei einer reichen Ernte, musste ich uns absichern. Alle Mann ins Auto: eine kleine Odyssee angetreten. Es war eine richtige Schatzsuche bis wir endlich eine Telefonzelle fanden. Heutzutage sind die scheinbar Mangelware.

Das Telefonat: Herr Schweinsteiner nahm beim vierten Tuten ab. Nachdem wir uns gegenseitig klar gemacht haben, dass der eine mit dem anderen spricht, konnten wir die Einzelheiten besprechen. Das Wichtigste für mich: „Polizei?“ Nein. Für Schweinsteiner: „Meine Familie erfährt nichts, also passiert meiner Familie nichts. Das ist der Deal, oder?“

Ich: „Wenn die Geldübergabe so läuft, wie ich es mir vorstelle, hat sich die Sache damit erledigt.“

Dann wurden die Details abgeklärt. Er hat mich immer wieder unterbrochen. Wollte wissen, ob ich „den Emir“ vergiftet habe. Ich sagte ihm, dass ich nichts über den Sicherheitstyp wusste. Ich wurde unsicher, ob er das Gespräch abhören ließ oder aufzeichnete. Wieso stellt er so eine Frage? Weiter im Programm. Ich durfte keine Schwäche zeigen, für einen Rückzieher war es ohnehin zu spät. Er kannte meinen Namen – oder konnte ihn wenigstens ausfindig machen. Ich drohte ihm: keine Einzelheiten. Danach machte abermals Andeutungen bezüglich der Gesundheit von Frau und Familie. Stille in der Leitung. Ich presste den Hörer so fest an mein Ohr, dass ich den Schmerz jetzt noch fühle. Ich versuchte bis in den Hintergrund zu lauschen, konnte aber keine Nebengespräche hören. Kein Polizist, keine Ehefrau, die Ratschläge geben. Hat er aufgelegt?

Ich: „Hallo?“

Er: „Ja…“

Nach kurzem Schweigen schien sein Wille gebrochen. Die Fragen hörten auf. Er war kooperativ.

Nachdem ich auflegte, gackerten Johnny und Tim wie die Hühner. Um für Ruhe zu Sorgen, musste ich an die Wand schlagen wie es Väter mit der Tischplatte tun, wenn die Kinder beim Abendessen zu spielerisch werden.

Um die Gefahr für mich zu senken, musste ich ein großes Risiko eingehen: Ich musste mich auf die beiden Amateure verlassen. Die Geldübergabe sollten sie übernehmen. Sollte dort die Polizei warten, wollte ich wenigstens die Chance haben, zu entkommen.

Ich gab ihnen die notwendigen Instruktionen. Johnny wusste den Weg, Tim sollte die Führung übernehmen. Dann ließ ich mich nach Hause fahren.