11. November, 23 Uhr 08

Vorhin gab es so etwas wie eine Erleuchtung. Der Abend hat wie üblich begonnen, wenn ich mit Johnny und Tim abhänge. Erstmal ein bisschen was trinken. Dabei gönnt man sich natürlich nur das beste: Billigbier. Da dröhnt genauso, man kann aber doppelt so viel kaufen. Der Pegel macht die Stimmung lockerer, da wird man großzügiger. Irgendwann rückt meistens einer von uns ein bisschen Stoff raus. Wenn wir drauf sind, kommen die üblichen Themen: Filme, Musik. Am Ende landen wir beim leidigen Thema Geld – so auch heute.

Es begann die alte Trauerrede von Johnny. Keine Kohle, aber Bock was zu machen. Ich konnte es mir heute nicht geben. Da ich ein wenig Bargeld in der Tasche hatte, habe ich vorgeschlagen, ihm einen auszugeben.

Wir sind also ins Kaos. Dreckiger Schuppen, ziemlich heruntergekommen. Aber ich fühle mich wohl. Da ist die Musik erstens zumindest erträglich, zweitens sind die Getränke recht günstig. Mittlerweile kenne ich dort auch ein paar Leute. Als wir ankamen, musste ich an den Kommentar von Veronika, der Ziege vom Dienst, denken. Asozial. Was daran asozial sein soll, wenn nette Menschen einen über den Durst trinken wollen, wüsste ich gern mal. Wir sind doch ganz normale Leute. Ich habe dort erst zweimal Stress erlebt und beide Streits waren schnell geschlichtet.

Wie üblich, wenn man im Kaos ankommt: Ein paar Gästen zugenickt, Unbekannte gemustert. Ich wollte mich gerade an die Theke verabschieden, um mir was zu holen, da änderte sich die Atmosphären. Die beiden wurden angespannt, ich wurde neugierig.

Bevor ich etwas sagen konnte presste Tim hervor: „Oh nein, nicht der jetzt.“

Ich war Feuer und Flamme wie bei einer Explosion, das Bier konnte warte. Ich hoffte, dass es jetzt aufregend werden würde. Ich schaute Tim an, versuchte seinem Blick zu folgen, um zu wissen, wer gemeint war. Tim starrte Johnny an, der wiederum zum Eingangsbereich blickte, dabei den Kopf schüttelte.

Da ich nun die Blickrichtung erahnen konnte, sah ich, von wem die Rede war: ein Berg von einem Mann. Wir gafften einen riesigen Glatzkopf an. Ich ging ihm etwa bis zur Schulter, ein paar Zentimeter breiter als ich dürfte er auch sein. Ich musste natürlich sofort wissen, wer uns da mit seiner Anwesenheit beglückte.

Die Kurzfassung: Zlatan ist Hehler. Johnny kennt ihn über Bekannte. Vor ein paar Wochen wollten sie – Johnny mit der Unterstützung von Tim – Geschäfte mit Zlatan machen. Zlatan hatte zugesagt, geklaute Elektrogeräte wie Handys, Konsolen oder Computer günstig zu beschaffen.

Johnny: „Wir wollten ihm gutes Zeug abkaufen. Alles Originalware, so vom Laster gefallen und in der Fabrik verloren.“

Der nächste Schritt des Plans war, diese Sachen mit einem saftigen Aufpreis an Mann, Frau und Kind zu bringen.

Tim aufgebracht: „Dann meinte der Penner, er braucht erst das Geld, dann gibt es die Ware. Die Diebe müssten vorher bezahlt werden.“

Die beiden waren gierig, kratzen die Kohle zusammen. Johnny bezahlte. Das Übel nahm seinen Lauf. Das Geld war weg, die Lieferung ließ auf sich warten wie Frauen im Badezimmer vor dem Feiern. Es vergingen Wochen. Johnny wurde immer weiter vertröstet, Zlatan hatte immer neue Ausreden. Mal gab es Kommunikationsschwierigkeiten, dann ist ein wichtiger Mann abgesprungen, dann haben ein paar Kuriere kalte Füße bekommen. Das einzige Ergebnis: Die eine Seite ist 2000 Euro ärmer, die andere 2000 Euro reicher.

Sie wollten sich zwar nicht wie Verlierer darstellen, aber es ist klar: Jetzt stecken die beiden in einer Zwickmühle. Sie können ja nicht so einfach zur Polizei gehen und Diebesgut oder Schwarzgeld verlangen. Das ist bestimmt auch Zlatan bewusst, der bisher keine Anstalten macht, die Schulden zurückzuzahlen. Stattdessen hält er den Deal mit wagen Versprechen am Tropf.

Druck machen können die beiden auch nicht, denn Zlatan ist zu gefährlich. Unterwelt: Er soll zwei einflussreiche Onkel haben, die kleinere Banden unterhalten. Kein Wunder, dass der dickliche Johnny und der schmale Tim, keine Konfrontation suchen. Gegen die sieht auch der schmächtigste Schlägertrupp aus wie eine Armee.

Zu meiner Unterhaltung hatten die beiden Alkohol und Stoff intus, konnten sich aus sicherer Entfernung aufregen. Wenn Blicke töten könnten und oder wenigstens Worte verwunden, wäre der Typ seit dem Abend Geschichte.

Johnny in Rage: „Den müsste man totschlagen, den müsste man mit Betonfüßen im Rhein versenken. Der gehört doch hinter eine S-Bahn gebunden.“

Tim zustimmend: „Am besten Linie 4, die fährt schön durch die Innenstadt, da sieht ihn jeder. Mir ist das Geld ja fast egal, Hauptsache der ist weg.“

Während sie so erzählten, versorgte ich mich immer mal wieder mit Getränken. Mein Pegel stieg, ich wurde von deren Mordphantasien angesteckt. Es zwar eine Glühbirne, die plötzlich über meinem Kopf flackerte: So kann ich mein Talent auch nutzen. Ich hab mich schon öfters gefragt, wieso ich all diese Idioten kostenlos eliminiere. Das war meine Chance. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Einer schlechter Mensch weg, Kohle da. Ich dachte mir, wenn die beide den Typen loswerden wollen, habe ich die Lösung.

Ich unterbrach Johnny bei irgendeinem dummen Spruch. Fragte, wie viel er mir bietet, um den Typen aus dem Weg zu räumen. Johnny hat gelacht, mir als Bezahlung einen Kasten Bier angeboten. Ich meinte, dass es mein Ernst ist. Es folgte ein Duell.

Johnny: „Ernsthaft?“

Ich: „Ernsthaft.“

Johnny: „Ernsthaft?“

Ich: „Ernsthaft.“

Nach einer kurzen Pause hat er mich gefragt, wie ich das meine. Ich daraufhin: „So wie ich es gesagt habe.“

Es folgte keine tiefgründige Diskussion. Nachdem ich ihm abermals Ernsthaftigkeit garantiert habe, hat er mir 200 Euro für Zlatan geboten. Ob den beiden die Tragweite ihres Angebots in diesem Moment bewusst zwar, bezweifle ich. Doch der folgende Handschlag hat dieses Gespräch legitimiert. Das Geschäft war gemacht.

Zu diesem Zeitpunkt hatten wir den größten Teil meiner Barschaft versoffen. Es war Zeit den Abend zu beenden. Als wir gehen wollten, flüsterte mir Tim ins Ohr: „Was ist denn jetzt, machst du den platt, oder was?“ Ich nickte, zeigte mit der Hand Richtung Ausgang. Tim bahnte sich den Weg nach draußen. Johnny folgte ihm so dicht, ich fragte mich, ob die beiden aus Furcht Händchen hielten. Ich hielt Abstand, wollte das Zusammentreffen mit dem Überblick der Entfernung beobachten: an Zlatan und seinen Handlangern mussten die beiden gezwungenermaßen vorbei. Tim und Johnny hatten sich augenscheinlich Mut angetrunken: abermals wurden tödliche Blicke geschossen. Diese wurden mit Gelächter von Zlatan und Kumpanen quittiert. Für den Weg gab es noch ein bisschen Häme und ein paar beleidigende Sprüche.

Für mich war dieses Theater ideal. Da mich keiner mehr auf dem Zettel hatte, konnte ich mir dieses Schauspiel nicht nur mit Sicherheitsabstand anschauen, als ich an Zlatan vorbei bin, konnte ich ihn noch kurz an der Hand streifen. Es war nicht ganz unbemerkt. Er drehte sich kurz um, schaute mich an. Seine Augen waren aber gleich wieder weg. Einer seiner Kumpels stieß in die Seite, machte einen Witz über Dick und Doof.

Vor der Tür wäre eigentlich die Verabschiedung angestanden. Die beiden standen schon bereit, ich musste mich sofort ausklinken, um diese dämliche Abklatscherei zu vermeiden. Wieso man erwachsenen Männern dreimal die Hand und einmal die Faust geben soll, werde ich nie verstehen. Bevor ich ihnen zu nahe kam, lief ich mich frei wie ein Stürmer. Ich faselte irgendwas von Termin und wichtig. Ich hob die Hand, machte kehrt: ab nach hause.

Und da bin ich mittlerweile sicher und unangetastet angekommen. Der arme Zlatan ist im Speicher. Ich habe meinen Verdienst schon verplant, deshalb gehe ich nun schlafen. Der letzte Wille von Zlatan: Betet! Der Suizidkönig ist angekommen und fordert 200 Euro.