24. Dezember, 17 Uhr 00

Es erklang immer wieder: Du darfst keine Zeit verlieren! Es sollte keine Kurzschlusshandlung sein, sondern eine Entscheidung: Ich muss hier weg.

Ich habe heute morgen noch ein paar Pakete aufgegeben. Es waren drei oder vier. Keine Ahnung wie viele Liter das Fassungsvermögen ist, jedenfalls die größte Größe. Nachdem ich den Müll und alles, was einfach neu angeschafft werden kann, aussortiert hatte, war nur ein kleiner Haufen übrig. Meinen Umzug dürfen die Paketboten übernehmen. Viel Besitz habe ich sowieso nicht.

Ich habe alles, was ich brauche, als Handgepäck dabei: mein Geld, meine Drogen und mein Tagebuch.

Meine Wohnung ist gekündigt. Also ich habe die Kündigung zumindest schon mental geschrieben. Sollen sie doch einfach die Miete mit der Kaution verrechnen. Kaputt gemacht habe ich dort nichts. Die hässlichen Möbel sind immer noch hässlich. Den Schlüsselbund schicke ich mit der Kündigung.

Es war schade um all die Lebensmittel, aber vielleicht freut sich einer der Nachbarn über meinen Gabentisch – frohe Weihnachten. Dass ich mal etwas zu verschenken habe…

Ich werde jedem, der mich vermisst, etwas von einem familiären Notfall vorgaukeln. Da muss jeder Verständnis heucheln, um nicht als Unmensch gebrandmarkt zu werden. Isy, Maas, die Hausverwaltung… viele werden sich ohnehin nicht melden. Ich gebe denen irgendeine Adresse in Berlin durch, so findet mich niemand. Dieser abgebrannte Arzt und die Hirnverbrannten dürfen gerne Berlin nach mir absuchen – viel Spaß. Zum Glück ist Bremen beziehungsweise Berlin so weit entfernt, da können sie mich schlecht für Besichtigungstermine beziehungsweise Schichten, Aussprachen, Überfälle oder Dates einbestellen.

Ich sitze jetzt im Bus, habe den letzten nach Bremen tatsächlich erwischt. Dass ich nicht Zug fahren muss, ist das einzige, an dem ich mich aufbauen kann.

Das war es für mich. Diesem Abenteuer bin ich nicht mehr gewachsen. Ich habe geblufft, hat zu hoch gepokert.

Ich werde Karlsruhe keine Träne nachweinen, ich kam gut weg. Der Aufenthalt hat sich gelohnt. Ich komme mit mehreren zehntausend Euro Bargeld und einer guten Handvoll Drogen zurück. Das war ein erfolgreiches Abenteuer, endlich mal was erlebt.

Wie es weiter geht? Ich weiß es nicht.

Ein paar Tage im Keller meiner Eltern werde ich überleben.

Die können gerne versuchen, mir etwas anzuhängen. Johnny, Annas Eltern, Lautzer, Schweinsteiner. Die haben nur Aussagen, nichts außer Behauptungen. So eine irre, übernatürliche Geschichte glaubt denen niemand. Ich kann nicht zur Verantwortung gezogen werden, die diese ganzen Vorfälle unvorstellbar sind. Es klingt unfassbar, daher bin ich unfassbar. Es gibt keine Zeugen, ich war ein Geist.

Ich bin alleine auf der Rückbank. Alle anderen feiern. Diese glücklichen, normalen Menschen singen bestimmt Weihnachtslieder. Ich gönne mir jetzt was, um wach zu bleiben. Der Tag war so anstrengend, ich war ich einer solchen Eile: geschleppt, gepackt, geschrubbt, gewischt, geputzt. Ich wollte auch die letzten Spuren verwischen, damit niemand beweisen kann, dass ich überhaupt da war. Die Wohnung sieht aus wie bei meinem Einzug. Es erinnert nichts an mich. Sobald die Mülltonnen geleert sind, ist auch die letzte Erinnerung an mich beseitigt.