12. September, 19 Uhr 33

Gestern und vorgestern ist wenig passiert. Jedenfalls nichts, dass die Mühe verdient, hier festgehalten zu werden.

Immerhin kamen mir noch ein paar Ideen, wie ich fremde Leute anfassen kann. So habe ich stets jemanden in der Hinterhand, dessen Verlust ich verschmerzen kann. Sie haben was verloren = am Arm berühren, Uhrzeit? = Handgelenk. Eine milde Gabe = Handfläche. Taschentuch, bitte = Finger. Ganz einfach ist irgendwas kaufen. Etwas verrückter ist anrempeln. Übung bräuchte es, jemand unbemerkt zu berühren. Das hat beinahe Taschendieb-Niveau. Das sollte lediglich die letzte Möglichkeit sein.

Ich bin erleichtert, die Verantwortung Anna gegenüber scheint lösbar. Ich setze sie also keiner Gefahr aus. Die letzten Tage war sie übrigens wieder entspannter, obwohl ich viel allein unterwegs war. Die Sache mit meinem Talent gefällt mir immer besser. Ich fühle mich beinahe wie ein Geheimagent. Ich lerne meine Fähigkeiten zu nutzen wie ein Pokemon. Ich entwickele mich irgendwie weiter: von Anders zu Anderak.

Mir kribbelte es in den Fingern, als ich gestern im Bett lag. Ich wollte auf Verbrecherjagd gehen wie ein Superheld. Im Moment fühle ich mich nicht mehr wie eine Giraffe mit Halsschmerzen.

Wenn ich jetzt fremden Leute begegne, habe ich ein erhabenes Gefühl. Wissen ist Macht. Und dass ich weiß, dass ich mächtig bin, ist cool. Eine Berührung und ich kann über deren Leben entscheiden – gut, über ein paar Umwege. Ich fühle mich den Leuten überlegen. Ich fühle mich ausgegrenzt und gut dabei. Das Gefühl ist schwer zu beschreiben. So muss es verschifften Sklaven gegangen sein, als sie in die Gesichter der schmächtigen Massa blickten.

Ich fühle mich mit jedem Tag stärker. Aber ich möchte auch so aussehen. Ich habe mir einen kleinen Fitnessplan entworfen. Neben einer besseren Ernährung, muss ich auch ein wenig Sport machen. Fitnessstudio ist mir doch etwas zu übertrieben, aber auch zuhause sollte etwas gehen. Ich mache nun jeden Tag meine Liegestütze und meine Sit-Ups. Man sieht noch keine Muskelberge, aber merke wie das Testosteron in mir köchelt.

Ich bin heute wieder durch die Stadt heimgelaufen. Schließlich zählt jeder Meter, wenn man fit werden möchte. Ich spüre, dass die Leute mir misstrauen. Ich sehe, wie ihre Augen mich mustern. Ich bin mir sicher, dass sie mich analysieren. Der Mensch ist eben Tier. Dem Unbekannten misstrauen ist ein Urinstinkt. In diesem Fall liegen die Leute richtig. Ich bin gefährlich.