Gestern Abend kam noch eine Nachricht von Anna. Sie hat gefragt, ob ich Zeit zum Quatschen hab. Genügend Zeit habe ich leider immer. Zu Anna meinte ich, dass ich mir für sie immer Zeit nehmen würde, ich alter Schleimer. Also hoch gestiefelt, im Gepäck wie üblich ein wenig Alkohol. Das ist Zeitvertreib, Eisbrecher und Begrüßungsgeschenk.
Anna wollte reden. Und Junge, das tat sie. Es zeigt sich immer mehr, dass Anna sehr gerne spricht und den Dingen in langen Diskussionen auf den Grund gehen möchte. Auch wenn alles glasklar ist und man den Boden trotz tiefem, stillem Wasser sieht. Sie ist ein echtes Goldstück, aber was das Quatschen angeht, ist sie aus Silber gegossen.
Grund des Gesprächs: Sie hat mich gestern in der Stadt gesehen und war verletzt, dass ich sie nicht gefragt habe, ob sie Lust hat mitzugehen. Bei dem Wort verletzt habe ich hoffentlich nicht die Augen so verdreht, wie ich es gerade getan habe. Das fand ich schon albern. Aber es ging noch weiter: Warum ich den Mittag lieber alleine als mit ihr verbringe? Ob ich mich von ihr distanzieren möchte?
In der Hoffnung die Diskussion im Keim zu ersticken, habe ich zu ihr gemeint: „Oh Mann, hätte ich das gewusst, dass du Zeit hast…“ Ich dachte, ich habe sie schachmatt gestellt. Denkste. Anna wie aus der Pistole, als wären ihre Gedankengängen das Logischste der Welt: „Aber doch nur vormittags, nicht nachmittags.“ Uff. Sie denkt wohl, wir sind hier im Debattierclub. Ich sagte ihr, dass sie recht hat, damit ich meine Ruhe bekomme. Ich stimmte ihr zu, räumte meine Kommunikationsfehler ein. Versprach, ihr in Zukunft Bescheid zu geben. Nachzugeben hat sich gelohnt, Anna war danach zahm. Aber ich bin mir sicher, abhakt ist dieses Thema nicht. Vor allem da ich nicht vorhabe, sie über jeden meiner Schritte zu informieren. Dieses Problem, die ganze Diskussion ist also nur nach hinten verschoben, wie ausgeschnitten und eingefügt.
Anna zeigt schon jetzt erste Anzeichen von der Wesensveränderung, die Frauen in Beziehungen an den Tag legen. Wenn Mann keine Zeit oder keinen Nerv hat, muss er gegen die Partnerschaft sein. Wer gegen die Partnerschaft ist, hat gelogen. Wer im Umkehrschluss angelogen wird, darf sich stets als Opfer sehen und verlangen, dass der Partner sich für alles rechtfertigt. Da schlagen Fragen wie ein Donnerwetter. Blitzschnell werden daraus Vorwürfe. Warum hast du dich nicht früher gemeldet! Warum kannst du nicht offener sein! Wieso nimmst du dir nicht mehr Zeit! Was ist denn los! Was habe ich falsch gemacht!
Das war bei Alex schon so. Ich befürchte, Anna fängt jetzt auch an. Aus Nichtigkeiten wurden Streits, nur weil wir uns missverstanden haben. Ich kann nur beten, dass Anna nicht ganz so nervig wird. So eine anstrengende Beziehung passt mir gerade gar nicht in den Kram.
Ich will kompromissloser und selbstverliebter leben. Mein weichliches Verhalten gegenüber Alex hat mich schließlich in den Selbstmord getrieben. Gut, es ist nur beim Versuch geblieben. Aber dieses Detail kann ich in diesem Fall unter den Teppich kehren wie eine übersehene Staubfluse, wenn der Besuch klingelt. Mit meiner Wiedergeburt habe ich eine zweite Chance bekommen, die ich nicht so leichtfertig vergeben werde. Anna ist süß, sie ist jetzt meine Freundin, aber dennoch muss ich meinen Mann stehen.