28. Oktober, 13 Uhr 35

So sehr sehnte ich den Feierabend selten herbei. Als der kleine Zeiger auf der 1 war, legte der Mann in meinem Kopf eine Freudentanzeinlage hin.

Bald stellte sich heraus: Zu früh gefreut.

Keine Ablösung in Sicht. Normalerweise ist auf Holger Verlass. Er kommt in der Regel 5 Minuten zu früh, um vor Arbeitsbeginn noch eine zu quarzen und ein wenig zu schnacken. Heute erwartete ich ihn sehnsüchtig.

Nach einer Ewigkeit, in der ich meine Sachen längst gepackt, den Schlüsselbund fest in der Hand hielt, wagte ich einen Blick auf die Uhr. Erst 13 Uhr 05. Holger, wann kommst du endlich?

Ich befürchtete das Schlimmmste: Holger kann nicht, ich soll für ihn einspringen.

Dann war er 10 Minuten zu spät.

Ich schaute alle 30 Sekunden auf mein Handy. Keine neue Nachricht. Maas hatte sich nicht gemeldet, so konnte weiterhin gehofft werden.

Ich wollte nicht mehr sitzen, lehnte mich angespannt an die Tür des Kiosks. Ich betete. Lieber Gott im Himmel, lass keinen Kunden mehr kommen. Lass es Holger gut gehen. Würde ich rauchen, hätte ich an einem Glimmstängel nach dem anderen gesaugt. Stattdessen kaute ich den Nagel meines Daumens wie ein Dragee.

Ich fand mich langsam mit meinem Schicksal ab. Legte mir einen Schlachtplan zurecht: Falls jemand kommt, vermeide ich einfach den Körperkontakt. Das bisschen Unhöflichkeit war mir in dem Moment egal.

Dann kam der Holger endlich. Sein Rattenschwanz wippte bei jedem Schritt mit. Der Kapuzenpullover mit Fusseln überzogen, er schwebte mir in seinen Tennisschuhen, die mittlerweile statt strahlend weiss gelb und grau waren, wie ein Engel entgegen. Er steckte sich eine Zigarette in den Mund, als er mich sah. Mit seinem Lächeln mit der Zahnlücke oben rechts war Holger in diesem Moment der schönste Mann der Welt.

Endlich!

Ich ermahnte mich: Bloß keine Fehler machen! Es musste ein fliegender Wechsel werden. Ich machte mich bereit: Die Jacke bis oben zugezogen, die Hände in den Hosentaschen. Abweisender kann man nicht aussehen. Bevor Holger ankam, ging ich bereits einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung. Deutlicher kann man nicht ausdrücken, dass man keinen Kontakt will.

Als mir Holger schließlich gefährlich nahe war, gab ich ihm zu verstehen, dass er mir fern bleiben soll. Ich brummte durch meinen Jackenkragen: „Hab mir irgendeinen Virus eingefangen. Steck dich bloß nicht an, Holger.“

Er machte große Augen, nickte aber artig. Wir tauschten uns kurz aus. Dann war ich endlich auf dem Heimweg.