27. September, 9 Uhr 28

Ich habe die Karten in der Hand. Das Schwierigste wird sein, bei Alex und Lars das Pokerface zu behalten. Entschieden habe ich mich: Lars wird das Zeitliche segnen wie Pfarrer zur Mittagsmesse. Warum? Im Grunde möchte ich, dass Alex noch ein bisschen leidet. Ihr geht es zu gut, nachdem sie mich verloren hat. Ein wenig Trauer schadet ihr sicher nicht. Das wird ihrem verdorbenen Charakter gut tun. Dann kann sie reflektieren, was für ein grausamer Mensch sie ist. Außerdem kann ich sie vielleicht noch gebrauchen, schlecht sieht sie nicht aus. Bei Lars überwiegt das Negative. Wozu er mir hilfreich seien könnte, wollte mir einfach nicht einfallen. Er ist ein Verräter.

Alex hätte die Strafe mehr verdient, aber das Leben ist nicht fair. Lars wird erfahren, dass der Tod es auch nicht ist. Er hätte mir einfach die Wahrheit sagen können. Mir in einer Mail schreiben, dass er zu Alex gezogen ist. Er hätte sogar flunkern dürfen, dass es nur wegen der Wohnsituation und Miete ist. Ein paar Wochen später dann, dass er sich in sie verguckt hat. Mich fragen, ob ich damit ein Problem habe. Dann würde die Sache anders aussehen. Doch er hat denkbar schlecht gehandelt. Schweigen ist in diesem Fall lügen. Und einen König anzulügen ist ein Fehler. Hochverrat.

Nun muss ich die beiden nur noch in die Finger bekommen. Ich will sie beide treffen, ihnen zeigen wie cool und entspannt ich bin. Im besten Fall kommt Alex dann bei mir angekrochen, um Trost und Geborgenheit zu suchen. Mein Plan: Eine Aussprache unter sechs Augen, ein Friedensangebot meinerseits. Ganz ungezwungen und locker, so wie der neue Anders eben ist.

Lars habe ich schon gefragt, die Nummer von Alex kenn ich zwar noch auswendig, aber ich wollte es nicht gleich übertreiben.

und die Antwort auf meine Mail ist auch schon da.

Der treue, liebe Lars stimmt mir voll zu, dass ein Gespräch genau das Richtige wäre. Da ist so viel vorgefallen, er möchte reinen Tisch machen.

Ach, das ist köstlich. Da schmeckt mein Brötchen mit Erdbeer-Marmelade gleich noch besser. Zuckersüß. Obwohl die Auswahl bei dem morgendlichen Buffet jeden Tag gleich ist, mundet es heute besonders gut. Zur Feier des Tages gönne ich mir gleich noch ein Stückchen Kuchen, der hat mich angelacht. Möglicherweise auch noch ein zweites. Und vielleicht noch ein Käsebrot.

Ich hätte bei Alex und Lars gerne Mäuschen gespielt. Ich vermute, Lars hat Alex von meinem Vorschlag erzählt. Dass sie begeistert war, wage ich zu bezweifeln. Die Antwort ließ eine gute Stunde auf sich warten. Das war bestimmt eine hitzige Diskussion. Der treue, liebe Lars, der mit schlechtem Gewissen für die Vernunft argumentiert. Dass man den guten, braven Anders doch Treffen muss. Ich sehe ihn vor mir: So viel sind wir ihm doch schuldig. Mit Tränen in den Augen. Das gebietet doch die Höflichkeit. Und gegenüber die Furie Alex. Die wie eine Sirene Neeeeiiiin schreit. Immer und immer wieder neeeiiin. Bis der Akku irgendwann leer war.

Ich bin mal gespannt, ob sie auch zum Treffen kommt, die Antwort war etwas schwammig formuliert. Bis nachmittags hat sie noch genügend Zeit, sich zu entscheiden und wieder um. Wie ich sie kenne, wird sie das im Laufe des Vormittags auch mehrmals tun. Mir soll es recht sein, vielleicht bekommt sie ein Zornesfältchen oder ein graues Häärchen dadurch.

Mir bleibt ein Vormittag im Leerlauf. Ich werde Anna gleich mal aushorchen, ob sie einen bestimmten Wunsch hat, dann begebe ich mich mal in die Stadt, um ein noch ein paar Geldscheine loszuwerden.