24. August, 10 Uhr 30

Alter! Ich hab so einen brummenden Schädel, das ist nicht mehr heilig. Jetzt ist es offiziell: Ich bin wirklich nicht mehr so jung, wie ich es gerne wäre. Früher habe ich Schnaps plus Bier locker weggesteckt – lockerer jedenfalls. Jetzt hab ich einen brüllenden Kater, der die Zähne zeigt, obwohl ich mir nachts wohl noch ne zweite Pizza reingepfiffen hab. So viel zu Fett bindet Alkohol.

Das, woran ich mich erinnere… wäre besser ein Alptraum gewesen. Ich befürchte, ich hab Alex gestern noch geschrieben. Ich glaube, ich hab auch meinen Freundeskreis durchgetextet. Wenn ich schreibe, dass ich es glaube, ist das wohl eher Wunschdenken. Ich weiß, dass ich es getan hab. Der Filmriss ist eher in dem Bereich, nachdem ich mich entschieden habe, den Mist zu tippen, bis zum Aufstehen. Ich traue mich gar nicht, zu schauen, was ich dort geschrieben hab. Wenn man Sachen im Suff macht, sind sie doppelt unangenehm. Ich werde betrunken scheinbar nicht nur redselig, sondern auch schreibselig.

Was hab ich mir dabei nur gedacht? Ich wünschte, dass ich gestern gestorben wäre. Einfach so in der Badewanne absaufen. Dann hätte ich jetzt nicht dieses ungute Gefühl.

Diese Kopfschmerzen bringen mich um.

Ich muss noch bis mittags im Kiosk ausharren und hab keine Kopfschmerz-Tabletten. Wieso ist jetzt, da ich festsitze, der Bewegungsdrang da? Das sollte mal passieren, wenn ich mich dazu aufraffen will Sport zu machen. Ich bin kurz davor, mir hier ein Katerbier zu zwischen. Ich glaube nicht, dass es jemand merken würde. Im Kiosk gibt es ja auch eine bunte Auswahl an Kaugummis.

Immerhin kommt gleich Gesellschaft. Das ist wenigstens Abwechslung. Gleich ist 11 Uhr. Um 11 Uhr kommt Ulli. Jeden Samstag treu wie ein Rettungshund. Ulli ist Frührenter, so etwa 60 und rechnet jede Woche damit, dass er Millionär wird. Er ist ein kleiner, kauziger Typ. Als er zum ersten mal angekommen ist, dachte ich, er sei einer von den Säufern. Fehlanzeige. Er hat sich brav vorgestellt, wollte wissen, wie ich heiße.

Dann fing er an zu erzählen. Er bekommt eine kleine Rente, sagte er. Aber weil er sparsam ist, kommt er trotzdem gut über die Runden. Ulli: „Man muss zufrieden sein, mit dem, was man hat.“ Wie man sieht, schreibt man ihn mit zwei L, das war kein Schreibfehler. Weil Ullrich blöd aussieht, hat er sich immer Ulli genannt. Er fügte hinzu: „Aber die beiden L gehören dazu wie beim Cool J.“ Ja, er meinte ernsthaft den Rapper. Nach diesem Satz wusste ich, dass ich ihn mag. Dass er Schey mit dem weichsten aller Sch sagte, war dabei das Sahnehäubchen. Sein großes Hobby sind Enten. Er gibt wahrscheinlich mehr Geld für Brot aus, als all die restlichen Lebensmittel kombiniert. Das darf natürlich nur Biobrot aus dem Reformhaus sein, damit die Reste, die er den Enten verfüttert auch gesund sind. Keine Backtriebmittel oder solche Giftstoffe für seine Lieblinge! Die Reste sind der Innenteil vom Brot. Fein säuberlich in Quadrate geschnitten. Ich vermute, dass Ulli die Kruste selbst isst, den Innenteil für die Enten ausspart, damit sich die Tiere nicht verschlucken. Er streitet das ab.

Samstags spielt seine 6 Felder. Ich drücke ihm jedes mal die Daumen. Er lässt sich immer den Kugelschreiber unter der Theke geben. Das ist sein Glückskugelschreiber, den er dort lagert. Groß was gewonnen hat er mit dem Kulli aber noch nicht. Nach einem Plausch mit mir macht er sechsmal seine 6 Kreuze, zahlt, gibt mir die Hand und verspricht mir immer verschiedene Beträge (abhängig von der möglichen Gewinnsumme), weil er natürlich diese Woche den Jackpot knacken wird.

Ulli redet gerne und viel, deshalb freue ich mich, wenn er vorbeikommt. Er ist das Yin zu meinem Yang. In meiner ersten Woche im Kiosk hat er mir die ganze Nachbarschaft erklärt, mich anschließend zu seinem Stammtisch eingeladen. Ich war zwar nicht dort, aber er war trotzdem weiterhin nett.