Tim hat mir mittlerweile meinen Verdienst vorbeigebracht. Es sind zwei schöne Hunderter. Da man bei großen Scheinen doch immer einen guten Grund haben sollte, sie anzubrechen, habe ich die Versöhnung mit Anna als meinen auserkoren.
Es brauchte ein wenig Überredungskunst, ich ließ nicht locker. Sie war auch heute anfangs eher distanziert. Jedenfalls nicht so, wie es eine verliebte Freundin sein sollte. Nachdem ich vorgeschlagen habe, dass wir ihre Prüfungen feiern könnten, gab sie nach.
Wir sind gegen 18 Uhr los. Händchen haltend sind wir durch die Straßen geschlendert. So wie das Paare eben machen, die sich vertragen wollen. Leider brauchte es drei Anläufe, bis sie ihre Hand endlich nicht mehr wegzog. Sie gab beim vierten Anlauf endlich nach. Es war ein kleiner Spaziergang bis sie sich entschieden hatte, wo wir Zwischenstation einlegen sollten.
Romantisch war es dort nicht. Die Musik war zu laut, der Schuppen überfüllt. Bestellt: Sie einen Cocktail, ich einen Kurzen und ein Bier. Dann brach ich mit den üblichen Floskeln das Eis: Wie lief es? Was hast du für ein Gefühl? Wann bekommst du die Ergebnisse?
Es war ein holpriger Start. So verkrampft habe ich mir sie nicht vorgestellt. An die erhoffte Entschuldigung war nicht mehr zu denken. Auch der zweite Cocktail hat Anna nicht auf Schmusekurs gelenkt. Statt die Finger nicht von mir lassen zu können, zerfetzte sie unsere Servietten. Es war offensichtlich, dass sie etwas ansprechen wollte. Sie war zu feige, mit der Sprache rauszurücken. Bevor ich die große Frage stellte, kippte ich mir einen zweiten Kurzen in den Rachen. Dann: Nochmal durchgeatmet. Ich, die Augen geschlossen: „Was ist denn los?“
Und dann fing es an. Einiges war los.
Sie hat mich gefragt, wie es mit meiner „unmittelbaren Zukunft“ aussieht. Sie meinte, dass ich mich in der letzten Zeit ganz schön verändert hätte. Statt mir Komplimente zu machen, wurde sie gemein. Statt zu sagen, dass ich sportlicher aussehe, behauptete sie, dass ich abgemagert und hager sei. Ich erwiderte, dass ich eine erfolgreiche Diät hinter mir habe. Dass ich keinen Appetit mehr habe und nachts Sit-Ups im Dunkeln mache, verschwieg ich natürlich. Was soll ich auch sonst tun, wenn ich mitten in der Nacht runterkomme?
Dann ging ihre Fragestunde weiter: Ob ich die Tabletten abgesetzt hätte. Ich, so ruhig wie möglich: „Noch nicht ganz, aber die Dosis reduziert. Mein Arzt sagt, dass es ungesund ist, einen kalten Entzug zu machen.“ Das war ein falscher Ausdruck. Anna mit großen Augen: „Also bist du echt abhängig?“
Ich schüttelte den Kopf, tat empört: „Ich doch nicht!“ Von dem Speed, dass ich 5 Minuten bevor wir losgezogen sind, ahnte sie zum Glück nichts. Wir schwiegen einige Zeit, ich bestellte nochmal. Anschließend saßen wir da. Musterten die Einrichtung, so wie man es tut, wenn man nichts zu sagen hat. Mir wäre zwar einiges eingefallen, doch ich wagte es nicht, mich zu bewegen. Sie war wie ein Raubtier, ich die Beute. Wenn ich mich tot stelle, lässt sie mich vielleicht in Ruhe.
Auch die neuen Servietten fielen ihr zum Opfer. Als der Tisch aussah wie nach einem Papiermassaker sagte sie, ohne den Anstand mich anzuschauen: „Ist das überhaupt noch eine Beziehung, Anders?“
Da war auch ich sprachlos. Ich fand keine Antwort. Ich entschuldigte mich auf die Toilette, dort musste ich einfach etwas ziehen. Das ist doch nur verständlich. Es war wenig Pulver, aber genug. Nach dieser Energiespritze versuchte ich, Anna umzustimmen. Ich redete im Fluss in der Hoffnung sie mitzureißen. Prügelte mit Argumenten auf sie ein: Beziehung nicht wegwerfen, war doch so schön, der Überfall ist schuld, ich kann nichts dafür.
Es wurde bei ihr noch ein dritter Cocktail. Dann wollte sie weg. Klar, erst durfte ich mir das alles anhören, danach bezahlen. Woran ich nun bin… wer weiß. Es war keine Trennung, auch kein Bekenntnis zu mir. Sie hat mir einfach nur die Stimmung vermiest.
Wenigstens eine Umarmung oder einen Abschiedskuss… aber nein. Natürlich wollte sie gleich allein sein. Bestimmt lästert sie jetzt mit ihren Freundinnen über mich.
Die soll mich doch einfach so akzeptieren, wie ich bin. Als ob die einen besseren als mich findet. Warum kann sie mir nicht einfach meine Tabletten lassen? Sie trinkt doch selbst. Dann trinke ich halt ein bisschen, nehme halt ein wenig Stoff. Was soll daran schlimm sein? Ich lebe doch ein normales Leben. Nur weil ich mir gerade eine Auszeit vom Arbeitsleben genommen hab, denkt sie, sie wäre was besseres. Sie arbeitet ja selbst nicht. Ich frage mich, wieso ich mir das mit Anna überhaupt noch antue. Ich finde, dass ich es verdient habe, glücklich zu sein.
Ich steigere mich gerade voll rein. Das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen. Zum Abschluss des Tages brauch ich Schmerztabletten, da wird auch mein Herzschmerz betäubt.
Auf dich, Anna!