1. November, 19 Uhr 32

Gegen Abend fand ich mich vor dem Spiegel wieder. Die Pupillen geweitet, der Kiefer mahlend, stachelte ich mich an. Ich nickte mir zu, ballte die Faust, pumpte. Der Entschluss war gefasst, ich durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Du musst jetzt los. Du musst es machen. Du musst deine Aufgabe erledigen!

Und dann war ich vor Ort. Trotz chemischem Selbstbewusstsein, bekam ich ein mulmiges Gefühl. Meine Hände und Beine kribbelten. Ich wusste weder was noch wer mich erwartet. Ich hatte nur den Plan, den ich meinem Spiegelbild mit aufgerissenen Augen eingetrichtert habe.

Immer wieder die inneren Widerstände: Dreh um, du machst einen Fehler! Ich zog mich zurück. Suchte, fand ein einsames Plätzchen Ich stand an die graue Wand gelehnt, starrte auf mein Handy, während die Gedanken rasten: Treffe ich jetzt gleich einen der Typen, die mir abgezogen haben? Haben sie mich vielleicht fotografiert und ein Fahndungsfoto im Büro aufgehängt. Das X ist immer noch da!

Meine Entscheidungsfreude war hyperaktiv. Sie sprang vom linken Fuß auf den Rechten. Geh heim, tu es, geh heim, tu es.

Du musst jetzt los. Du musst es machen. Du musst deine Aufgabe erledigen!

Mir fiel nichts besseres ein: Die Haare kämmte ich mir mit den Fingern auf die Stirn, Spucke war mein Gel.

Dann war es zu spät für einen Rückzieher: Ich stand vor dem Kerl, von dem ich vermutete, dass er die Bestellungen entgegen nimmt. Ich, zittrige Stimme, Blick auf den Boden gerichtet: „Ich brauch was.“

Keine Reaktion. Ich schaute hoch, befürchtete, dass ich zu sehr genuschelt habe. Ich sah ihm an, dass er mich verstanden hat. Er fühlte sich überlegen. Er schaute nicht nur an, er analysierte mein Gesicht. Wie ein Laser tastete er es ab, als würde meine Züge auswendig lernen. Sein Blick sprang von einem Punkt zum nächsten. Ich spürte Schweiß an meinen Schläfen rinnen, Schweiß an meinem Rücken fließen. Ich bin war sicher, dass er mich wiedererkannte. Entweder das, oder durch die Beleuchtung war die X-Narbe wieder sichtbar. Was sollte ich tun? Ich blickte mich um, der Weg war frei. Ich zähle bis 10, dann renne ich los.

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Er machte den Mund auf: „Gras, Pepp?“

Die Entscheidung war einfach.

Ich holte meinen Geldbeutel aus der Hosentasche, wollte bezahlen. Er, hastig, fast keifend: „Nein, nein!“ Er ging ein paar Schritte zurück, drehte sich um. Ich vermutete, er überprüfte, ob die Luft noch rein war, während mir der Atem stockte. Er, jetzt wieder Herr seiner Emotionen: „Parallelstraße, vorne auf weisse Bank. Dort bezahlen.“ Ich nickte, wollte ihm die Hand geben. In dem Moment war es nicht unter dem Vorsatz, ihn in den Speicher zu laden. Eher um eine Bestätigung zu bekommen, die Fronten zu klären. Wir sind cool, richtig?

Er drehte sich um, Hände in den Jackentaschen, ließ mich stehen. Niederlage für mich.

Ich lief Richtung Parallelstraße. Der kühle Gegenwind trocknete meine Stirn. Dort waren die Typen so desinteressiert, so unauffällig, dass sie meine Anwesenheit nicht mal registrierten. Es schien, als ob der erste der Türsteher war, der die Entscheidung getroffen hat, ob ich sauber bin oder nicht. Die Angst erkannt zu werden, war gesunken. Ich nahm an, dass sie mir Einlass in ihr Reich gewährten.

Die Geldübergabe war wie beim Bezahlen an der Supermarktkasse. Dieser Verbrecher – den ich ebenfalls noch nicht gesehen hatte – lies mich nicht hängen. Geschafft: Handschlag, berührt.

Bei ihm das gleiche Spiel. Ich wurde weiter geschickt. In dem Moment war mir mein Mordkomplett herzlich egal. Ich hatte Lust auf den Stoff.

Drogenübergabe. Für das Geld war es ein kleines Päckchen. Beschweren konnte ich mich nicht. Ich bezweifle, dass die Dealer einen Informationsstand für Reklamationen haben. Servicewüste Karlsruhe. Ich war ohnehin zufrieden, konnte nicht erwarten, den Stoff zu testen. Ich wollte nur noch nach hause. Geistesgegenwärtig genug, um mit den Händen in den Hosentaschen, mit einer vorausschauenden Schlangenlinie vorbei an entgegenkommenden Menschen heimzugehen, war ich wenigstens.

Diese verdammten Schlüssellöcher sind am kleinsten, wenn man es eilig hat. Als ich die Tür endlich aufgeschlossen hatte, rannte ich an meinen Tisch.

Schüttelte ich eine Priese aus dem Beutel, eine weitere hinterher. Nach ein bisschen Hin- und Hergeschiebe hatte ich den Dreh raus: Eine gerade Linie. So schön, wie man sie aus den Filmen aus Hollywood kennt. Ich hielt inne. Wer weiß, mit was die Krawallbrüder das gestreckt haben.

Egal. Ich zog zaghaft.

Ein Knall. Es war guter Stoff. Speed, Pepp. Es ist der gleiche Unterschied.

Mittlerweile hat ich schon ein paar mal nachgelegt.

Ich habe so Lust auf Party. Anna hat bis jetzt nicht geantwortet. Ich bin schon hoch und habe an der Tür sturmgeklopft. Nichts. Sag bloß, die Trantüte schläft schon?! Jetzt wäre es ganz praktisch, hier Freunde zu haben. Ich hätte mir die Nummern von Annas Bekannten geben lassen sollen. Oder noch besser: den Freundinnen.